Veröffentlicht am Mai 11, 2024

Entgegen der landläufigen Meinung ist ein gesunder Lebensstil keine Garantie für ein niedriges Herzrisiko, da genetische Faktoren oft eine übergeordnete Rolle spielen.

  • Standardisierte Risikobewertungen übersehen häufig genetische Veranlagungen wie die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) oder ein erhöhtes Lipoprotein(a).
  • Ein alleiniger Fokus auf den LDL-Cholesterinwert ist für eine präzise Risikoeinschätzung unzureichend, insbesondere bei familiärer Vorbelastung.

Empfehlung: Bestehen trotz gesunder Lebensweise auffällige Blutfettwerte, ist eine spezialisierte lipidologische Diagnostik zur Abklärung genetischer Ursachen der entscheidende nächste Schritt.

Viele Menschen in Deutschland leben vorbildlich: Sie ernähren sich ausgewogen, treiben regelmäßig Sport, rauchen nicht und halten ihr Gewicht. Dennoch erhalten sie bei der Routineuntersuchung eine beunruhigende Nachricht: Ihre Blutfettwerte, insbesondere das Cholesterin, sind deutlich erhöht. Dieser Befund sorgt oft für Frustration und Verwirrung. Die üblichen Ratschläge – „weniger Fett, mehr Bewegung“ – greifen hier nicht, denn das Problem liegt häufig viel tiefer verborgen, als es ein Standard-Blutbild vermuten lässt.

Die konventionelle Kardiologie konzentriert sich stark auf die klassischen, beeinflussbaren Risikofaktoren. Doch was, wenn die wahre Ursache für Ihr hohes Risiko in Ihren Genen verankert ist? Genau hier setzen wir als Lipidgenetiker an. Wir blicken hinter die Kulissen des Stoffwechsels und analysieren, ob eine angeborene Störung wie die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) oder ein erhöhter Wert des Lipoprotein(a) vorliegt. Diese genetischen Faktoren können das Herz-Kreislauf-Risiko drastisch erhöhen, unabhängig von Ihrem Lebenswandel.

Dieser Artikel führt Sie über die Grenzen der Standardempfehlungen hinaus. Sie werden verstehen, warum Ihr persönliches Risikoprofil eine differenziertere Betrachtung erfordert. Wir erklären die wichtigsten genetischen Risikofaktoren, stellen die spezifischen diagnostischen Kriterien vor, die in Deutschland zur Anwendung kommen, und zeigen auf, welche personalisierten Strategien Ihnen zur Verfügung stehen, um Ihr Risiko effektiv zu managen.

Für einen schnellen Überblick über die medikamentösen und nicht-medikamentösen Ansätze zur Senkung erhöhter Blutfettwerte bietet das folgende Video von Dr. med. Thomas Bobbert eine ausgezeichnete Zusammenfassung. Es ergänzt die hier vorgestellten, auf genetische Aspekte fokussierten Informationen um eine breitere therapeutische Perspektive.

Um Ihnen eine klare Struktur für dieses komplexe Thema zu bieten, haben wir den Artikel in logische Abschnitte unterteilt. Das folgende Inhaltsverzeichnis gibt Ihnen einen Überblick über die einzelnen Themenbereiche, von der grundlegenden Problematik bis hin zu konkreten Handlungsstrategien.

Warum Standard-Risikofaktoren bei Ihnen nicht ausreichen

Die gängige Präventionsmedizin stützt sich auf ein Portfolio bekannter Risikofaktoren: Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Übergewicht und vor allem ein hoher LDL-Cholesterinspiegel. Diese Faktoren sind unbestreitbar wichtig, doch sie zeichnen ein unvollständiges Bild. Für eine wachsende Gruppe von Betroffenen, die viele dieser Risiken bereits minimiert haben, bieten diese allgemeinen Modelle keine Erklärung für anhaltend hohe Blutfettwerte. Die Kernbotschaft lautet: Wenn Ihr Lebensstil bereits optimiert ist, Ihr Risiko aber hoch bleibt, müssen wir die Perspektive wechseln und die genetische Komponente in den Fokus rücken.

Standardisierte Risikorechner wie der PROCAM- oder ESC-Score gewichten den Lebensstil stark. Sie können jedoch das Risiko dramatisch unterschätzen, wenn eine genetische Veranlagung vorliegt. Ein Mensch mit einer unerkannten Familiären Hypercholesterinämie (FH) hat von Geburt an einen massiv erhöhten LDL-Cholesterinspiegel. Sein Körper ist über Jahrzehnte einer hohen „Cholesterinlast“ ausgesetzt, was zu einer frühzeitigen und aggressiven Arteriosklerose führt. Ein Standard-Risikomodell, das erst im Alter von 40 oder 50 Jahren angewendet wird, erfasst diese lebenslange Belastung nicht adäquat.

Die Diskrepanz zwischen gefühltem Gesundheitszustand und laborchemischem Befund ist für Betroffene zutiefst frustrierend. Sie folgen allen Regeln, aber das Ergebnis stimmt nicht. Dies ist kein Versagen Ihrerseits, sondern ein Hinweis darauf, dass Ihr individuelles Risikoprofil eine tiefere Analyse erfordert, die über die Oberfläche der beeinflussbaren Lebensstilfaktoren hinausgeht. Die Genetik ist in diesen Fällen nicht nur ein weiterer Risikofaktor, sondern oft der dominierende Treiber des Geschehens.

Die Akzeptanz dieser Tatsache öffnet die Tür zu einer präziseren Diagnostik und damit zu einer weitaus wirksameren, personalisierten Prävention. Es geht darum, die richtige Frage zu stellen: Nicht nur „Wie lebe ich?“, sondern auch „Was habe ich geerbt?“.

Die Genetik des Herzrisikos: Familiäre Hypercholesterinämie (FH) verstehen

Die Familiäre Hypercholesterinämie, kurz FH, ist die häufigste monogenetische, also durch einen einzelnen Gendefekt verursachte, Stoffwechselerkrankung in Deutschland. Sie betrifft etwa einen von 250 Menschen, bleibt aber in über 80% der Fälle unerkannt. Der Kern des Problems ist ein Defekt, meist eine LDLR-Mutation, im Gen für den LDL-Rezeptor. Diese Rezeptoren auf der Oberfläche der Leberzellen haben die Aufgabe, LDL-Cholesterin („schlechtes“ Cholesterin) aus dem Blut zu filtern. Funktionieren sie nicht richtig, reichert sich das LDL-Cholesterin im Blut massiv an.

Die Vererbung erfolgt autosomal-dominant. Das bedeutet, es reicht aus, das defekte Gen von nur einem Elternteil zu erben, um zu erkranken. Jedes Kind eines Betroffenen hat somit ein 50-prozentiges Risiko, die Veranlagung ebenfalls zu tragen. Dies erklärt die familiäre Häufung von Herzinfarkten oder Schlaganfällen, oft schon in jungen Jahren. Typische LDL-Werte bei Erwachsenen mit heterozygoter FH (Defekt von einem Elternteil geerbt) liegen unbehandelt oft dauerhaft über 190 mg/dl.

Klinische Anzeichen können Hinweise geben, sind aber nicht immer vorhanden. Dazu gehören sichtbare Cholesterinablagerungen wie Xanthome (knotige Verdickungen, oft an der Achillessehne oder den Fingerstrecksehnen) oder der sogenannte Arcus lipoides corneae, ein gräulich-weißer Ring am Rand der Hornhaut des Auges, insbesondere wenn er vor dem 45. Lebensjahr auftritt. Das Fehlen dieser Symptome schließt eine FH jedoch keineswegs aus. Die entscheidende Diagnostik basiert auf der Kombination aus Blutfettwerten, der Familienanamnese und spezifischen klinischen Kriterien.

Das Wissen um die Existenz und die Mechanismen der FH ist der erste Schritt, um aus dem Schatten der unspezifischen Risikobewertung herauszutreten und eine gezielte Diagnostik einzuleiten.

Diagnostische Kriterien: Wann sind Simon-Broome- und Dutch-Lipid-Scores relevant?

Da eine alleinige Messung des LDL-Cholesterins nicht ausreicht, um eine Familiäre Hypercholesterinämie (FH) sicher zu diagnostizieren, wurden international anerkannte Kriterienkataloge entwickelt. In der klinischen Praxis in Deutschland sind vor allem zwei Systeme von Bedeutung: die Kriterien des Simon Broome Registers aus Großbritannien und der Score der Dutch Lipid Clinic Network aus den Niederlanden. Diese Instrumente helfen dabei, die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer FH systematisch zu bewerten.

Beide Systeme funktionieren nach einem Punktesystem und bewerten verschiedene Aspekte:

  • LDL-Cholesterin-Konzentration: Sehr hohe Werte (z.B. >190 mg/dl oder gar >330 mg/dl) geben eine hohe Punktzahl.
  • Klinische Befunde: Das Vorhandensein von Sehnenxanthomen oder einem Arcus corneae wird bewertet.
  • Familienanamnese: Das Auftreten von frühen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzinfarkt < 60 Jahre) oder hohen Cholesterinwerten bei Verwandten ersten Grades (Eltern, Geschwister, Kinder) ist ein entscheidender Faktor.
  • Genetischer Nachweis: Der Nachweis einer krankheitsverursachenden LDLR-Mutation durch einen Gentest liefert die definitive Diagnose und die höchste Punktzahl.

Anhand der erreichten Gesamtpunktzahl wird die Diagnose als „unwahrscheinlich“, „möglich“, „wahrscheinlich“ oder „definitiv“ eingestuft. Ein hoher Score ist ein starkes Indiz und rechtfertigt in der Regel die Einleitung einer genetischen Testung. Diese standardisierten Kriterien sind essenziell, um eine objektive und nachvollziehbare Diagnose zu stellen und Fehldiagnosen zu vermeiden. Sie sind der Schlüssel, um Betroffene zu identifizieren und einer frühzeitigen, oft lebensrettenden Therapie zuzuführen.

Ihr Plan zur Überprüfung des persönlichen Risikoprofils

  1. Blutwerte analysieren: Fordern Sie bei Ihrem Arzt eine detaillierte Lipid-Analyse an, die nicht nur Gesamt- und LDL-Cholesterin, sondern auch HDL, Triglyceride und insbesondere Lipoprotein(a) umfasst.
  2. Familienanamnese erstellen: Dokumentieren Sie alle bekannten Fälle von Herzinfarkten, Schlaganfällen oder hohen Cholesterinwerten in Ihrer direkten Familie (Eltern, Geschwister) und notieren Sie das Alter bei Auftreten.
  3. Klinische Selbstprüfung: Achten Sie auf mögliche äußere Anzeichen wie Verdickungen an der Achillessehne oder einen gräulichen Ring um die Iris Ihrer Augen.
  4. Arztgespräch vorbereiten: Konfrontieren Sie Ihren Hausarzt mit den gesammelten Informationen und fragen Sie gezielt nach der Relevanz der Simon-Broome- oder Dutch-Lipid-Kriterien für Ihren Fall.
  5. Überweisung zum Spezialisten einfordern: Besteht nach diesen Schritten weiterhin der Verdacht auf eine genetische Ursache, bitten Sie um eine Überweisung zu einem Lipidologen oder einem Zentrum für Fettstoffwechselstörungen.

Die Anwendung dieser Scores ist ein entscheidender Schritt weg von pauschalen Vermutungen hin zu einer evidenzbasierten, individuellen Risikobewertung.

Wie Sie erhöhte Triglyceride in 4 Wochen ohne Medikamente halbieren

Während LDL-Cholesterin oft im Mittelpunkt steht, sind auch erhöhte Triglyceride ein unabhängiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und eine akute Pankreatitis. Insbesondere für Menschen mit einer genetischen Veranlagung zu Fettstoffwechselstörungen ist ein effektives Management dieser Blutfette entscheidend. Glücklicherweise reagieren Triglyceride oft sehr gut auf gezielte Lebensstiländerungen, insbesondere auf eine Anpassung der Ernährung. Zwei hochwirksame, nicht-medikamentöse Strategien sind die Haferkur und eine ausreichende Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren.

Die Haferkur ist eine altbewährte Methode, die durch den hohen Gehalt an Beta-Glucan wirkt. Dieser lösliche Ballaststoff bindet im Darm Gallensäuren, was die Leber zwingt, zur Produktion neuer Gallensäuren auf Cholesterin aus dem Blut zurückzugreifen. Dies senkt nicht nur das LDL-Cholesterin, sondern beeinflusst auch den Triglyceridstoffwechsel positiv.

Haferkur-Protokoll: 5 Schritte zur Triglycerid-Senkung

  1. Schritt 1: Täglich 70g Haferflocken (entspricht ca. 3g Beta-Glucan) in drei Portionen aufteilen
  2. Schritt 2: Haferflocken kurz aufkochen und 5 Minuten quellen lassen, um das Beta-Glucan freizusetzen
  3. Schritt 3: Mit 200ml Wasser oder fettarmer Gemüsebrühe pro Portion zubereiten, auf Zucker und Fett verzichten
  4. Schritt 4: Konsequent über einen Zeitraum von 2 bis 4 Wochen durchführen
  5. Schritt 5: Nach einer Pause von mindestens 6 Wochen kann die Kur bei Bedarf wiederholt werden

Eine weitere Säule ist die Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren, insbesondere Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA). Diese mehrfach ungesättigten Fettsäuren hemmen die Synthese von Triglyceriden in der Leber. Eine ausreichende Zufuhr kann laut Studien eine Reduktion der Triglyceridwerte um 15-20% bewirken. Die effektivste Quelle ist fettreicher Seefisch, aber auch pflanzliche Alternativen und hochwertige Nahrungsergänzungsmittel sind verfügbar.

Die Wahl der richtigen Omega-3-Quelle ist für den Erfolg entscheidend. Der folgende Vergleich zeigt gängige Optionen auf dem deutschen Markt, wie eine aktuelle Analyse von Gesundheitsportalen verdeutlicht.

Omega-3-Quellen im deutschen Markt im Vergleich
Quelle EPA/DHA pro Portion Verfügbarkeit Preis/Monat (ca.)
Fischöl-Kapseln (Apotheke) 1000-1500mg Überall erhältlich 15-25€
Krillöl 300-500mg Reformhaus/Online 30-40€
Algenöl (vegan) 400-600mg Bio-Märkte/Online 25-35€
Frischer Lachs (2x/Woche) 2000-3000mg Supermärkte 40-60€

Durch die Kombination dieser Methoden können viele Betroffene ihre Triglyceridwerte signifikant senken, oft sogar eine Halbierung erreichen, und so einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung ihres Gesamtrisikos leisten, bevor überhaupt an eine medikamentöse Therapie gedacht werden muss.

Lipoprotein(a): Der oft übersehene genetische Risikofaktor

Neben dem LDL-Cholesterin und den Triglyceriden gibt es einen dritten, entscheidenden Spieler im Feld der Blutfette, der fast ausschließlich genetisch bestimmt und durch Lebensstiländerungen kaum beeinflussbar ist: das Lipoprotein(a), kurz Lp(a). Etwa 20% der Bevölkerung in Deutschland haben einen erblich bedingt erhöhten Lp(a)-Spiegel, was ein signifikanter und unabhängiger Risikofaktor für Herzinfarkt, Schlaganfall und Aortenklappenstenose ist. Trotz seiner Relevanz wird dieser Wert in der hausärztlichen Routineversorgung immer noch viel zu selten bestimmt.

Lp(a) ist ein Partikel im Blut, das einem LDL-Partikel ähnelt, aber eine zusätzliche Proteinkomponente, das Apolipoprotein(a), aufweist. Diese Struktur verleiht ihm unglückliche Eigenschaften: Es wirkt pro-atherogen (fördert die Plaque-Bildung in den Arterien) und pro-thrombotisch (fördert die Bildung von Blutgerinnseln). Ein hoher Lp(a)-Wert kann somit erklären, warum manche Menschen trotz optimal eingestellter LDL-Werte und gesunder Lebensweise einen Herzinfarkt erleiden.

Die Höhe des Lp(a)-Spiegels wird zu über 90% durch ein einziges Gen (das LPA-Gen) festgelegt und bleibt ein Leben lang weitgehend konstant. Diäten, Sport oder herkömmliche Cholesterinsenker wie Statine haben praktisch keinen Einfluss auf den Wert. Aus diesem Grund empfehlen die europäischen Leitlinien, den Lp(a)-Wert mindestens einmal im Leben bei jedem Erwachsenen zu bestimmen, um das individuelle Risiko besser einschätzen zu können. Insbesondere bei Patienten mit einer positiven Familienanamnese für frühe Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bei unklaren Befunden ist die Messung unerlässlich.

Auch wenn es derzeit noch keine zugelassene, spezifisch Lp(a)-senkende Therapie gibt, ist die Kenntnis eines erhöhten Wertes von enormer Bedeutung. Sie führt zu einer konsequenteren und aggressiveren Behandlung aller anderen modifizierbaren Risikofaktoren, insbesondere zu einer sehr niedrigen Einstellung des LDL-Cholesterins, um das Gesamtrisiko zu kompensieren.

Der Weg zur spezialisierten Diagnostik in Deutschland: Vom Hausarzt zum Lipidologen

Wenn Sie den Verdacht haben, dass bei Ihnen eine genetische Fettstoffwechselstörung vorliegen könnte, ist ein strukturiertes Vorgehen entscheidend. Der erste Ansprechpartner ist in der Regel Ihr Hausarzt. Hier legen Sie die Basis, indem Sie Ihre Beobachtungen, die erstellte Familienanamnese und Ihre Laborwerte präsentieren. Fordern Sie eine umfassende Blutfettanalyse an, falls diese noch nicht vorliegt – inklusive LDL, HDL, Triglyceriden und insbesondere Lipoprotein(a).

Der nächste Schritt ist die Überweisung an einen Spezialisten. Der richtige Experte für diese Fragestellung ist ein Facharzt für Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung Lipidologe (DGFF) oder ein Kardiologe, der auf Fettstoffwechselstörungen spezialisiert ist. Diese Spezialisten arbeiten oft in Lipidambulanzen, die an Universitätskliniken oder größeren Krankenhäusern angesiedelt sind. Sie haben die Erfahrung und die diagnostischen Möglichkeiten, um eine fundierte Abklärung durchzuführen.

Der Weg vom ersten Verdacht beim Hausarzt bis zur endgültigen Diagnose beim Spezialisten kann mehrere Stufen umfassen, wie die folgende Visualisierung verdeutlicht. Jede Stufe baut auf der vorherigen auf und führt zu einer immer präziseren Einschätzung Ihres persönlichen Risikos.

Der Weg vom Hausarzt zum spezialisierten Lipidologen in Deutschland, visualisiert durch eine Abfolge von drei Türen in einem modernen Klinikflur.

Wie das Bild metaphorisch darstellt, öffnet jede Konsultation eine neue Tür zu einem tieferen Verständnis. Der Spezialist wird die von Ihnen gesammelten Informationen bewerten, die klinischen Scoring-Systeme (Simon-Broome, Dutch Lipid) anwenden und bei begründetem Verdacht eine humangenetische Untersuchung veranlassen. Diese genetische Analyse liefert den endgültigen Beweis für oder gegen eine monogene Erkrankung wie die Familiäre Hypercholesterinämie.

Seien Sie proaktiv und gut vorbereitet. Ein Patient, der mit klaren Fragen und einer gut dokumentierten Anamnese zum Arzt kommt, wird ernster genommen und gelangt schneller zur richtigen Diagnose und Therapie.

Positiver Gentest für Herzerkrankung: Wie Sie mit der Diagnose umgehen

Die Mitteilung eines positiven Gentests für eine Erkrankung wie die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) kann zunächst ein Schock sein. Viele Betroffene empfinden Angst, Wut oder ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Es ist wichtig, diese Gefühle zuzulassen, aber die Diagnose nicht als unabwendbares Schicksal zu betrachten. Stattdessen sollten Sie sie als das sehen, was sie ist: eine Chance zur frühzeitigen und gezielten Prävention. Sie kennen nun Ihren „Gegner“ und können gezielte Gegenmaßnahmen ergreifen, lange bevor ein Schaden entsteht.

Ein entscheidender Punkt ist, dass Genetik nicht alles ist. Die Epigenetik lehrt uns, dass unser Lebensstil die Aktivität unserer Gene beeinflussen kann. Eine gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung sind auch – und gerade – bei genetischer Veranlagung von enormer Bedeutung, um das Risiko zu modulieren.

Fallbeispiel: Epigenetische Beeinflussung von Herzrisikogenen

Eine kanadische Studie mit 191 Probanden zeigte 2021 eindrücklich den Einfluss der Ernährung. Die Ergebnisse, die auch im Kontext von Empfehlungen wie von Hafer-die-Alleskoerner.de diskutiert werden, zeigten, dass bereits 3 Gramm Hafer-Beta-Glucan täglich das kardiovaskuläre Risiko signifikant senken können – und das auch bei Personen mit genetischen Vorbelastungen. Dies demonstriert, wie gezielte Ernährungsinterventionen die Expression von Risikogenen positiv beeinflussen und das vererbte Risiko abmildern können.

Sie sind mit dieser Diagnose in Deutschland nicht allein. Das deutsche Gendiagnostikgesetz (GenDG) sichert Ihnen umfassende Rechte zu. Dazu gehört das Recht auf eine ausführliche Aufklärung und Beratung vor und nach einem Gentest. Bei Verdacht auf eine erbliche Herzerkrankung gibt es eine nahezu 100%ige Kostenübernahme für die genetische Beratung durch die gesetzlichen Krankenkassen. Nutzen Sie dieses Angebot, um alle Ihre Fragen mit einem Humangenetiker zu klären. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Kaskadentestung: Informieren Sie Ihre Verwandten ersten Grades über Ihre Diagnose, da diese ein 50-prozentiges Risiko haben, ebenfalls betroffen zu sein. So wird aus Ihrer Diagnose eine Chance für die ganze Familie.

Die moderne Medizin bietet heute hochwirksame Medikamente (wie Statine, Ezetimib oder PCSK9-Inhibitoren), die den LDL-Wert auch bei FH drastisch senken können. In Kombination mit einem gesunden Lebensstil können Betroffene heute eine normale Lebenserwartung bei guter Lebensqualität erreichen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein gesunder Lebensstil schützt nicht immer vor einem hohen Herzrisiko, wenn eine genetische Veranlagung wie die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) vorliegt.
  • Für eine präzise Risikobewertung ist die Messung von LDL-Cholesterin allein unzureichend; die Familienanamnese und die Bestimmung von Lipoprotein(a) sind essenziell.
  • Eine frühzeitige, spezialisierte Diagnostik mittels klinischer Scores (Simon-Broome, Dutch Lipid) und Gentests ermöglicht eine gezielte, personalisierte Prävention und Therapie.

Ihre persönliche Präventionsstrategie: Genetik als Chance nutzen

Die Reise durch die komplexe Welt der genetischen Herzrisiken endet nicht bei der Diagnose, sondern beginnt dort erst richtig. Die Erkenntnis, eine genetische Veranlagung zu haben, ist kein Urteil, sondern der Startpunkt für eine maßgeschneiderte und hochwirksame Präventionsstrategie. Anstatt sich auf allgemeine Empfehlungen zu verlassen, die für Sie möglicherweise unzureichend sind, können Sie nun auf der Grundlage Ihres einzigartigen genetischen Profils handeln. Dies ist der Kern der personalisierten Medizin.

Ihre Strategie ruht auf zwei Säulen: der konsequenten medikamentösen Therapie und der Optimierung aller beeinflussbaren Faktoren. Bei einer nachgewiesenen FH oder einem stark erhöhten Lp(a) ist das Ziel, das LDL-Cholesterin auf sehr niedrige Werte zu senken, oft unter 70 mg/dl oder sogar unter 55 mg/dl, um die lebenslange Cholesterinlast zu kompensieren. Dies wird durch moderne Medikamente wie PCSK9-Inhibitoren in Kombination mit Statinen und Ezetimib erreicht. Parallel dazu gewinnt der Lebensstil an Bedeutung: Jede Maßnahme – von der Ernährungsumstellung über regelmäßige Bewegung bis hin zum kompletten Nikotinverzicht – trägt dazu bei, das verbleibende Restrisiko weiter zu senken.

Die Genetik gibt Ihnen das Wissen an die Hand, um proaktiv zu handeln, anstatt reaktiv auf ein bereits eingetretenes Ereignis wie einen Herzinfarkt zu warten. Sie ermöglicht es Ihnen, gemeinsam mit Ihrem Lipidologen realistische und messbare Ziele zu definieren und den Erfolg Ihrer Therapie engmaschig zu überwachen. Die Diagnose wird so vom Schreckgespenst zum Kompass, der Ihnen den Weg zu einem langen und gesunden Leben weist.

Der entscheidende nächste Schritt besteht darin, dieses Wissen in die Tat umzusetzen. Suchen Sie das Gespräch mit einem Spezialisten, um Ihr persönliches Risikoprofil erstellen zu lassen und Ihre individuelle Präventionsstrategie zu entwickeln.

Häufige Fragen zu Ihr persönliches Herzrisikoprofil: Warum Standardempfehlungen nicht für jeden passen

Geschrieben von Stefan Becker, Dr. rer. nat. Stefan Becker ist Facharzt für Humangenetik mit Schwerpunkt Kardiogenetik und molekulare Diagnostik. Seit 16 Jahren leitet er die genetische Beratungsstelle eines Herzzentrums und ist spezialisiert auf die Diagnostik erblicher Herzerkrankungen, familiärer Hypercholesterinämie und die Beratung bei genetischen Risikofaktoren.