
Entgegen der landläufigen Meinung schützt ein hoher HDL-Wert allein nicht vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die wahre Risikobewertung liegt in einer differenzierten Analyse aller Blutfettwerte.
- Die Qualität und Funktion der HDL-Partikel sind entscheidender als ihre reine Menge im Blut.
- Faktoren wie hohe Triglyceride, genetische Veranlagung (z.B. hohes Lipoprotein(a)) und der Lebensstil können das Risiko trotz hohem HDL drastisch erhöhen.
Empfehlung: Betrachten Sie Ihren Laborbericht als Gesamtbild. Besprechen Sie mit Ihrem Arzt nicht nur das HDL, sondern gezielt auch Ihren LDL-Zielwert, Triglyceride und die Notwendigkeit einer Lp(a)-Messung.
Sie halten Ihren Laborbericht in den Händen und atmen auf: Der HDL-Wert, das sogenannte „gute Cholesterin“, ist erfreulich hoch. Jahrelang galt dies als sicheres Zeichen für gesunde Gefäße und ein niedriges Herzinfarktrisiko. Doch diese vereinfachte Sichtweise gerät in der modernen Lipidologie zunehmend ins Wanken. Als Spezialist für Fettstoffwechselstörungen sehe ich täglich Patienten, deren Situation weitaus komplexer ist, als es die simple Gegenüberstellung von „gutem“ HDL und „schlechtem“ LDL-Cholesterin vermuten lässt.
Die Vorstellung, ein hoher HDL-Wert sei eine Art Versicherungspolice gegen Arteriosklerose, ist eine gefährliche Halbwahrheit. Sie übersieht entscheidende Mitspieler im komplexen Geschehen des Fettstoffwechsels. Was, wenn die Qualität dieser HDL-Partikel beeinträchtigt ist? Was, wenn andere, oft übersehene Werte wie die Triglyceride oder das genetisch bedingte Lipoprotein(a) ein viel größeres Risiko signalisieren? Ein hoher HDL-Wert kann ein falsches Gefühl der Sicherheit wiegen, während im Verborgenen andere Gefahren lauern.
Dieser Artikel bricht mit den alten Mythen. Statt pauschaler Urteile liefere ich Ihnen die differenzierte Perspektive eines Lipidologen. Wir werden die wahren Risikofaktoren entschlüsseln, die sich hinter den Standardwerten verbergen. Sie werden lernen, warum Ihr persönlicher LDL-Zielwert entscheidend ist, wieso Obst und Alkohol Ihre Blutfette stärker beeinflussen können als fettreiches Essen und welche modernen Therapien die Genetik überlisten können. Es ist an der Zeit, Ihren Laborbericht wirklich zu verstehen – jenseits von Gut und Böse.
Um Ihnen eine klare Orientierung durch dieses komplexe Thema zu geben, ist dieser Artikel in präzise Abschnitte gegliedert. Die folgende Übersicht führt Sie durch die zentralen Aspekte des modernen Lipidmanagements.
Inhaltsverzeichnis: Das große Bild Ihrer Blutfettwerte verstehen
- Unter 115, 70 oder 55? Welcher LDL-Wert gilt für Ihr persönliches Risiko?
- Warum Obst und Alkohol Ihre Triglyceride mehr treiben als Schweinebraten
- Margarine gegen Cholesterin: Können Lebensmittel den LDL-Spiegel wirklich senken?
- Schlank, sportlich, aber Cholesterin von 300: Haben Sie einen Gendefekt?
- Das vergessene Fett: Warum sollten Sie Lipoprotein(a) einmal im Leben messen?
- Warum „weiche“ Ablagerungen gefährlicher sind als alte Verkalkungen
- siRNA: Wie können wir Gene „stumm schalten“, die das Cholesterin treiben?
- Der Zusammenhang zwischen Obstkonsum, Gicht und Bluthochdruck
Unter 115, 70 oder 55? Welcher LDL-Wert gilt für Ihr persönliches Risiko?
Die Frage nach dem „richtigen“ Cholesterinwert ist nicht pauschal zu beantworten. Der Fokus der modernen Kardiologie hat sich klar vom Gesamtcholesterin auf das LDL-Cholesterin als primären Risikofaktor verschoben. Doch auch hier gibt es keinen universellen Grenzwert. Ihr persönlicher LDL-Zielwert hängt einzig und allein von Ihrem individuellen kardiovaskulären Risikoprofil ab. Dieses wird anhand von Faktoren wie bestehenden Erkrankungen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes), Bluthochdruck, Raucherstatus und Alter bestimmt.
Die europäischen Fachgesellschaften für Kardiologie (ESC) und Atherosklerose (EAS) haben klare, risikoadaptierte Zielwerte definiert. Für eine Person mit niedrigem Risiko mag ein LDL-Wert unter 116 mg/dl ausreichend sein. Für einen Patienten nach einem Herzinfarkt, der in die Kategorie „sehr hohes Risiko“ fällt, ist das Ziel mit unter 55 mg/dl jedoch deutlich strenger. Diese Differenzierung ist entscheidend für eine wirksame Prävention. Leider zeigt die Realität, dass diese Ziele oft verfehlt werden. So wurde in Deutschland dokumentiert, dass nur 7 % der Hochrisikopatienten den Zielwert von unter 55 mg/dl erreichen, während es in anderen europäischen Ländern deutlich mehr sind.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die aktuellen Zielwerte und hilft Ihnen, einzuordnen, welche Empfehlungen für Sie gelten könnten. Besprechen Sie Ihre individuelle Risikokategorie und den daraus resultierenden Zielwert unbedingt mit Ihrem behandelnden Arzt.
| Risikokategorie | LDL-Zielwert | Patientengruppen |
|---|---|---|
| Sehr hohes Risiko | < 55 mg/dl (< 1,4 mmol/l) | ASCVD, Diabetes mit Organschäden, FH mit Risikofaktoren |
| Hohes Risiko | < 70 mg/dl (< 1,8 mmol/l) | Einzelner stark ausgeprägter Risikofaktor, Diabetes >10 Jahre |
| Moderates Risiko | < 100 mg/dl (< 2,6 mmol/l) | SCORE2 2,5-7,5% bei <50 Jahren |
| Niedriges Risiko | < 116 mg/dl (< 3,0 mmol/l) | SCORE2 <2,5% bei <50 Jahren |
Es geht also nicht darum, das Cholesterin blind zu senken, sondern darum, einen präzise definierten, risikogerechten Zielwert zu erreichen und zu halten. Dies ist die Grundlage jeder modernen Lipidtherapie.
Warum Obst und Alkohol Ihre Triglyceride mehr treiben als Schweinebraten
Während die Aufmerksamkeit oft auf dem Cholesterin liegt, sind die Triglyceride ein weiterer entscheidender Blutfettwert, der oft unterschätzt wird. Hohe Triglyceridwerte, insbesondere in Kombination mit niedrigem HDL-Cholesterin, sind ein Kennzeichen der sogenannten atherogenen Dyslipidämie – einer besonders gefährlichen Fettstoffwechselstörung, die eng mit Insulinresistenz und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden ist. Ein einfacher, aber aussagekräftiger Indikator dafür ist der Triglycerid/HDL-Quotient. Ein Quotient über 2,0 gilt als starker Hinweis auf eine Insulinresistenz.
Überraschenderweise sind es oft nicht die fetten Speisen, die die Triglyceride in die Höhe treiben, sondern schnell verfügbare Kohlenhydrate – allen voran Zucker, Fruktose (Fruchtzucker) und Alkohol. Diese werden in der Leber bevorzugt direkt in Triglyceride umgewandelt. Ein Glas Orangensaft oder ein Feierabendbier kann hier also deutlich mehr bewirken als ein Stück fettes Fleisch, dessen Fett im Körper komplexeren Stoffwechselwegen folgt.
Dieser Stoffwechselprozess erklärt, warum auch vermeintlich gesunde Gewohnheiten wie der Konsum großer Mengen Obst oder Fruchtsmoothies zu einem Anstieg der Triglyceride führen können. Die Leber macht keinen Unterschied, ob die Fruktose aus einem Apfel oder aus einem Softdrink stammt – bei einem Überangebot wird sie zu Fett verstoffwechselt.

Die Abbildung verdeutlicht, wie sowohl Fruchtzucker als auch Alkohol in der Leber in den gleichen Stoffwechselweg münden, der zur Bildung von Triglyceriden führt. Diese werden dann als VLDL-Partikel ins Blut abgegeben und tragen zur Entstehung von Gefäßablagerungen bei. Eine bewusste Kontrolle des Konsums von Zucker und Alkohol ist daher ein zentraler Hebel zur Senkung erhöhter Triglyceridwerte.
Die Moderation ist hier der Schlüssel. Es geht nicht darum, Obst komplett zu meiden, sondern darum, den Konsum von Fruchtsäften, Smoothies und hochkonzentriertem Zucker zu hinterfragen und Alkohol nur in Maßen zu genießen.
Margarine gegen Cholesterin: Können Lebensmittel den LDL-Spiegel wirklich senken?
Die Idee, den Cholesterinspiegel einfach durch den Verzehr bestimmter Lebensmittel zu senken, ist verlockend. Produkte wie spezielle Margarinen, Joghurts oder Drinks, die mit Pflanzensterinen angereichert sind, versprechen genau das. Und tatsächlich: Diese Substanzen, die dem Cholesterin chemisch ähneln, können dessen Aufnahme aus dem Darm blockieren. Dadurch kann eine moderate Senkung des LDL-Cholesterins erreicht werden. Studien zeigen, dass Pflanzensterine in angereicherten Margarinen das LDL-Cholesterin um 7-10 % senken können.
Allerdings muss man diese Wirkung realistisch einordnen. Eine solche Senkung ist oft nicht ausreichend, um die strengen LDL-Zielwerte bei Patienten mit hohem oder sehr hohem Risiko zu erreichen. Hier sind diese sogenannten „Functional Foods“ allenfalls eine Ergänzung, aber niemals ein Ersatz für eine notwendige medikamentöse Therapie. Für Menschen mit nur leicht erhöhten Werten und niedrigem Risiko können sie jedoch eine sinnvolle Maßnahme sein. Viel wichtiger als einzelne angereicherte Produkte ist jedoch die Basis einer herzgesunden Ernährung. Eine Reduktion gesättigter Fette, die Erhöhung des Anteils an löslichen Ballaststoffen (z. B. aus Hafer oder Gerste) und die Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren aus Fisch oder pflanzlichen Quellen haben einen nachgewiesenen und nachhaltigen Effekt.
Letztlich ist eine cholesterinbewusste Ernährung keine Frage einzelner „Wunderlebensmittel“, sondern ein Gesamtkonzept. Die Vermeidung von Transfetten, die in vielen Fertigprodukten und Frittiertem stecken, ist dabei ebenso wichtig wie die bewusste Auswahl guter Fette und ballaststoffreicher Kohlenhydrate. Die folgende Checkliste fasst die wichtigsten Ernährungsstrategien zusammen.
Ihr Plan zur Optimierung der Blutfette: Die 5 Säulen der Ernährung
- Gesättigte Fettsäuren reduzieren: Inventarisieren Sie Ihren Konsum tierischer Fette (z. B. Butter, Wurst, fettes Fleisch, Sahne) und ersetzen Sie diese schrittweise durch pflanzliche Alternativen.
- Mehrfach ungesättigte Fettsäuren erhöhen: Planen Sie pro Woche mindestens zwei Mahlzeiten mit Omega-3-reichem Fisch (Lachs, Makrele) ein und integrieren Sie täglich Leinsamen, Walnüsse oder Rapsöl.
- Lösliche Ballaststoffe steigern: Starten Sie den Tag mit Haferflocken oder Haferkleie. Auch Gerste, Hülsenfrüchte und Äpfel sind exzellente Quellen für Beta-Glucan und Pektin.
- Pflanzliche Sterole gezielt nutzen: Falls Sie angereicherte Produkte verwenden, tun Sie dies konsequent, aber in Maßen, und sehen Sie es als Ergänzung, nicht als alleinige Lösung.
- Trans-Fettsäuren konsequent meiden: Überprüfen Sie die Zutatenlisten von Fertiggerichten, Backwaren und Snacks. Begriffe wie „gehärtete Fette“ sind ein klares Warnsignal.
Eine Ernährungsumstellung ist ein mächtiges Werkzeug, aber ihre Wirksamkeit hat Grenzen. Sie ist die Basis, auf der jede weitere Therapie aufbaut, kann diese aber bei hohem Risiko nicht ersetzen.
Schlank, sportlich, aber Cholesterin von 300: Haben Sie einen Gendefekt?
Einer der hartnäckigsten Mythen rund um das Cholesterin ist die Annahme, es sei ausschließlich ein Problem von Übergewicht und ungesundem Lebensstil. Doch ich sehe in meiner Sprechstunde regelmäßig Patienten, die schlank sind, sich sportlich betätigen, nicht rauchen und sich gesund ernähren – und trotzdem extrem hohe LDL-Cholesterinwerte aufweisen. In vielen dieser Fälle liegt die Ursache nicht im Lebensstil, sondern in den Genen: der sogenannten Familiären Hypercholesterinämie (FH).
Die FH ist eine angeborene Stoffwechselstörung, bei der die LDL-Rezeptoren auf den Leberzellen defekt sind oder fehlen. Dadurch kann das LDL-Cholesterin nicht effektiv aus dem Blut entfernt werden, und es reichert sich massiv an. Die Betroffenen haben von Geburt an hohe Cholesterinwerte und entwickeln, wenn sie unbehandelt bleiben, oft schon in jungen Jahren eine schwere Arteriosklerose mit Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Diese Erkrankung ist keine Seltenheit: Schätzungen zufolge ist in Deutschland 1 von 250 bis 500 Menschen von der heterozygoten Form betroffen, doch die wenigsten wissen davon.
Typische Anzeichen für eine mögliche FH sind:
- Extrem hohe LDL-Cholesterinwerte (oft > 190 mg/dl bei Erwachsenen)
- Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Bypass-Operationen in der Familie vor dem 55. (Männer) bzw. 60. Lebensjahr (Frauen)
- Sichtbare Cholesterinablagerungen an Sehnen (Xanthome) oder an den Augenlidern (Xanthelasmen)
Bei Verdacht auf eine FH ist eine schnelle und konsequente Behandlung überlebenswichtig. Eine reine Lebensstiländerung reicht hier bei Weitem nicht aus. Diese Patienten benötigen in der Regel eine intensive medikamentöse Therapie, meist eine Kombination aus hochdosierten Statinen und weiteren Cholesterinsenkern, um ihre LDL-Werte in den Zielbereich zu bringen und ihr hohes Risiko zu senken.
Die Diagnose einer FH ist kein Schicksal, sondern eine Chance: Sie ermöglicht eine frühzeitige und aggressive Therapie, die das hohe Risiko auf ein Normalmaß reduzieren kann. Ein Kaskadenscreening, also die Untersuchung von erstgradigen Verwandten, ist hierbei von größter Bedeutung.
Das vergessene Fett: Warum sollten Sie Lipoprotein(a) einmal im Leben messen?
Neben LDL, HDL und Triglyceriden gibt es einen weiteren, oft übersehenen Risikofaktor im Blut: das Lipoprotein(a), kurz Lp(a). Dieses Fett-Eiweiß-Partikel ähnelt in seiner Struktur dem LDL-Cholesterin, hat aber eine zusätzliche Komponente, das Apolipoprotein(a), die es besonders gefährlich macht. Ein hohes Lp(a) fördert nicht nur die Arteriosklerose (Gefäßverkalkung), sondern hat auch prothrombotische, also blutgerinnungsfördernde, Eigenschaften. Es erhöht somit auf zwei Wegen das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.
Das Tückische am Lp(a) ist, dass sein Wert fast ausschließlich genetisch festgelegt ist und durch Lebensstilmaßnahmen wie Diät oder Sport kaum beeinflusst werden kann. Auch die gängigen Cholesterinsenker wie Statine haben keinen oder nur einen sehr geringen Effekt auf das Lp(a). Man hat also entweder von Geburt an einen niedrigen oder einen hohen Wert. Und hohe Werte sind weit verbreitet: Epidemiologische Daten deuten darauf hin, dass etwa 20 % der Bevölkerung erhöhte Lp(a)-Werte über dem Risikoschwellenwert von 30-50 mg/dl haben, was ihr kardiovaskuläres Risiko erheblich steigert.
Aus diesem Grund empfehlen Fachgesellschaften, dass jeder Erwachsene mindestens einmal im Leben seinen Lp(a)-Wert bestimmen lassen sollte. So kann dieses genetisch bedingte Risiko aufgedeckt werden. Ein hoher Lp(a)-Wert ist zwar derzeit noch nicht direkt medikamentös behandelbar – obwohl sich vielversprechende neue Therapien in der Entwicklung befinden –, aber seine Kenntnis hat eine enorme Konsequenz: Sie führt zu einer noch konsequenteren und aggressiveren Senkung aller anderen modifizierbaren Risikofaktoren. Insbesondere der LDL-Zielwert wird bei Patienten mit hohem Lp(a) noch strenger gehandhabt, um das Gesamtrisiko zu kompensieren.
Das Wissen um einen erhöhten Lp(a)-Wert ist kein Grund zur Panik, sondern ein Aufruf zum Handeln. Es ist die stärkste Motivation, alle anderen beeinflussbaren Risikofaktoren wie LDL-Cholesterin, Blutdruck und Lebensstil mit maximaler Konsequenz zu optimieren.
Warum „weiche“ Ablagerungen gefährlicher sind als alte Verkalkungen
In der Vorstellung vieler Menschen ist Arteriosklerose ein langsamer Prozess, bei dem die Gefäße wie alte Wasserrohre immer weiter „verkalken“ und enger werden, bis sie schließlich verstopft sind. Dieses Bild ist jedoch nur die halbe Wahrheit und beschreibt vor allem die stabilen, chronischen Gefäßverengungen. Die weitaus größere Gefahr, die für akute Ereignisse wie einen Herzinfarkt verantwortlich ist, geht von einem anderen Typ von Ablagerungen aus: den sogenannten vulnerablen oder „weichen“ Plaques.
Diese Plaques bestehen aus einem großen, weichen, lipidreichen Kern ( voller Cholesterin) und sind nur von einer dünnen, entzündeten Kappe aus Bindegewebe bedeckt. Im Gegensatz zu alten, harten und stark verkalkten Plaques sind diese weichen Ablagerungen instabil und neigen dazu, plötzlich aufzureißen (zu rupturieren). Wenn dies geschieht, kommt der flüssige, stark gerinnungsfördernde Inhalt der Plaque mit dem Blut in Kontakt. Der Körper reagiert darauf mit der Bildung eines Blutgerinnsels (Thrombus), das versucht, den „Schaden“ abzudichten. Dieses Gerinnsel kann das Gefäß jedoch schlagartig komplett verschließen – die Folge ist ein Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Die schockierende Erkenntnis aus pathologischen Untersuchungen ist, dass 70 % aller akuten Koronarsyndrome durch die Ruptur solcher weichen Plaques entstehen, die das Gefäß zuvor oft nur geringfügig verengt hatten. Der Fokus der modernen Lipidtherapie, insbesondere mit hochwirksamen Statinen, liegt daher nicht nur auf der Senkung des LDL-Cholesterins, sondern auch auf der Plaquestabilisierung. Statine haben nachweislich eine entzündungshemmende Wirkung auf die Gefäßwand, können die dünne Kappe der vulnerablen Plaques festigen und deren Lipidkern reduzieren. Sie wandeln so eine gefährliche, weiche Plaque in eine stabilere, weniger rupturanfällige „Narbe“ um.
Ein hoher HDL-Wert allein kann die Entzündung in diesen vulnerablen Plaques nicht aufhalten. Eine aggressive LDL-Senkung hingegen ist der Schlüssel, um diese tickenden Zeitbomben in unseren Gefäßen zu stabilisieren und akute Ereignisse zu verhindern.
siRNA: Wie können wir Gene „stumm schalten“, die das Cholesterin treiben?
Seit Jahrzehnten sind Statine der Goldstandard in der Cholesterintherapie. Sie hemmen ein Schlüsselenzym der Cholesterinproduktion in der Leber und können das LDL-Cholesterin effektiv senken. Doch was tun, wenn Statine nicht vertragen werden oder ihre Wirkung nicht ausreicht, um die strengen Zielwerte zu erreichen? Hier betreten revolutionäre neue Therapieansätze die Bühne, die direkt an der Wurzel des Problems ansetzen: an unserer Genetik.
Einer der vielversprechendsten Ansätze ist die siRNA-Technologie (small interfering RNA). Dabei handelt es sich um winzige RNA-Moleküle, die gezielt in die Leberzellen geschleust werden. Dort fangen sie die Boten-RNA (mRNA) eines bestimmten Gens ab und sorgen dafür, dass diese abgebaut wird, bevor sie zur Produktion eines Proteins führen kann. Das Gen wird also nicht verändert, sondern gezielt „stumm geschaltet“. Im Bereich der Lipidologie wird diese Technologie genutzt, um die Produktion des Proteins PCSK9 zu blockieren. PCSK9 ist dafür verantwortlich, LDL-Rezeptoren auf der Leberoberfläche abzubauen. Schaltet man PCSK9 stumm, bleiben mehr LDL-Rezeptoren aktiv, die wiederum mehr LDL-Cholesterin aus dem Blut fischen können.
Diese innovative Therapieform hat den Vorteil, dass sie nur sehr selten verabreicht werden muss. Eine einzige Injektion kann den LDL-Spiegel für sechs Monate konstant und effektiv senken. Dies verbessert die Therapietreue der Patienten im Vergleich zur täglichen Tabletteneinnahme erheblich.
Praxisbeispiel: Inclisiran (Leqvio®) in der deutschen Versorgungsrealität
Der Wirkstoff Inclisiran ist ein Beispiel für eine solche siRNA-Therapie und wird in Deutschland seit 2021 bei bestimmten Patientengruppen eingesetzt. Er kommt vor allem bei Hochrisikopatienten zum Einsatz, die trotz maximal tolerierbarer Statintherapie ihre individuellen LDL-Zielwerte nicht erreichen. Die Therapie, die nur zweimal pro Jahr durch eine subkutane Injektion verabreicht wird, zeigt in Studien eine zusätzliche und anhaltende LDL-Senkung um 50-60 %. Die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland bei klar definierten Indikationen, wie z.B. bei der Familiären Hypercholesterinämie oder bei Patienten mit bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankung, übernommen.
Während Statine weiterhin die Basistherapie bleiben, eröffnen Gentherapien wie die siRNA-Technologie völlig neue Möglichkeiten für Patienten, bei denen herkömmliche Methoden an ihre Grenzen stoßen. Sie sind ein Meilenstein auf dem Weg zu einer hochpersonalisierten und effektiven Lipidtherapie.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein hoher HDL-Wert ist kein Freifahrtschein; die Qualität der Partikel und das Zusammenspiel mit anderen Werten sind entscheidend.
- Ihr persönlicher LDL-Zielwert, abhängig von Ihrem individuellen Risiko, ist die wichtigste Kenngröße für Ihre Therapie.
- Genetische Faktoren wie die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) und ein hohes Lipoprotein(a) sind oft unerkannte, aber massive Risikotreiber, die vom Lebensstil unabhängig sind.
Der Zusammenhang zwischen Obstkonsum, Gicht und Bluthochdruck
Die Diskussion über Fruktose (Fruchtzucker) beschränkt sich oft auf ihre Wirkung auf die Triglyceride. Doch der Stoffwechselweg von Fruktose hat weitere, oft übersehene Konsequenzen, die das kardiovaskuläre Risiko zusätzlich erhöhen können. Beim Abbau von Fruktose in der Leber entsteht als Nebenprodukt Harnsäure. Ein übermäßiger Konsum von fruktosehaltigen Lebensmitteln und Getränken kann daher den Harnsäurespiegel im Blut ansteigen lassen und das Risiko für einen schmerzhaften Gichtanfall erhöhen.
Aber Harnsäure ist nicht nur für die Gelenke ein Problem. Ein chronisch erhöhter Harnsäurespiegel wird zunehmend als eigenständiger Risikofaktor für die Entstehung von Bluthochdruck (Hypertonie) und Nierenschäden diskutiert. Harnsäure scheint die Funktion der Gefäßinnenwand (Endothel) zu stören und die Produktion von Stickstoffmonoxid zu hemmen, einer Substanz, die für die Weitstellung der Gefäße essenziell ist. So schließt sich ein Teufelskreis: Ein hoher Fruktosekonsum führt zu hohen Triglyceriden, einer Fettleber, erhöhter Harnsäure, Gicht und Bluthochdruck – allesamt Faktoren, die die Arteriosklerose beschleunigen.
Dies bedeutet nicht, dass Sie Obst vollständig von Ihrem Speiseplan streichen sollten. Ganze Früchte enthalten wichtige Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe, die die Aufnahme der Fruktose verlangsamen. Das eigentliche Problem sind hochkonzentrierte Fruktosequellen ohne diese schützenden Ballaststoffe. Dazu gehören vor allem gezuckerte Limonaden, Fruchtsäfte, Smoothies und viele verarbeitete Lebensmittel, denen Fruktosesirup zugesetzt wird. Eine bewusste Auswahl und der Vorzug ganzer Früchte gegenüber Säften ist daher eine wichtige Maßnahme, um diesen komplexen Risikomechanismus zu unterbrechen.
Um Ihr Risiko effektiv zu managen, ist es daher unerlässlich, nicht nur die Blutfette, sondern das gesamte Stoffwechselprofil im Auge zu behalten. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt nicht nur über Cholesterin, sondern auch über Ihre Triglyceride, Ihren Harnsäurespiegel und Ihren Blutdruck, um eine wirklich umfassende Risikobewertung zu erhalten.
Häufige Fragen zu Lipoprotein(a)
Warum reicht eine einmalige Messung von Lp(a)?
Der Lp(a)-Wert ist genetisch determiniert und ändert sich im Laufe des Lebens kaum, daher genügt eine einmalige Bestimmung zur Risikoabschätzung.
Ist die Lp(a)-Messung eine Kassenleistung in Deutschland?
Bei begründetem Verdacht (z.B. familiäre Belastung mit frühen Herzerkrankungen) übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten. Ansonsten kann die Messung als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) für etwa 20-30 Euro selbst bezahlt werden.
Welche Therapieoptionen gibt es bei erhöhtem Lp(a)?
Derzeit gibt es keine spezifisch zur Lp(a)-Senkung zugelassenen Medikamente. Die Kenntnis des Wertes führt aber zu einer intensiveren Behandlung aller anderen Risikofaktoren. Neue Therapieansätze wie Antisense-Oligonukleotide und siRNA-Therapien, die gezielt die Produktion von Lp(a) hemmen, befinden sich jedoch bereits in fortgeschrittenen klinischen Studien und könnten in Zukunft verfügbar sein.