Veröffentlicht am Mai 15, 2024

Die größte Gefahr für Ihr Gehirn lauert oft unbemerkt im Herzen: Vorhofflimmern ist keine harmlose Rhythmusstörung, sondern die Hauptursache für schwere, vermeidbare Schlaganfälle.

  • Ein unregelmäßiger Herzschlag kann Blutgerinnsel schmieden, die direkt ins Gehirn wandern.
  • Moderne Diagnostik (Langzeit-EKG, KI) kann dieses „unsichtbare Herzstolpern“ aufspüren, bevor die Katastrophe eintritt.

Empfehlung: Sprechen Sie Ihren Hausarzt aktiv auf das Risiko von Vorhofflimmern an und fordern Sie bei Verdacht eine erweiterte Diagnostik über 24 Stunden hinaus. Ihr Handeln heute schützt Ihr Gehirn morgen.

Jedes Jahr erleiden in Deutschland hunderttausende Menschen einen Schlaganfall. Viele fürchten die sichtbaren Anzeichen: den hängenden Mundwinkel, den gelähmten Arm. Doch als Neurologe auf einer Stroke Unit sehe ich täglich die verheerenden Folgen und muss Ihnen eine unbequeme Wahrheit sagen: Der Kampf gegen den Schlaganfall beginnt für viele Menschen über 60 nicht erst beim Erkennen der Symptome. Er beginnt viel früher, mit der Jagd auf einen unsichtbaren Feind im eigenen Brustkorb – das Vorhofflimmern.

Viele denken bei Herzproblemen an Schmerz in der Brust oder Atemnot. Doch das tückischste Herzstolpern ist oft jenes, das Sie gar nicht bemerken. Dieses elektrische Chaos in den Herzvorhöfen verwandelt einen Teil Ihres Herzens, das sogenannte Vorhofohr, in eine gefährliche Gerinnsel-Schmiede. Kleine Blutklumpen können sich dort bilden, sich unbemerkt lösen und mit dem Blutstrom direkt ins Gehirn wandern, wo sie eine Arterie blockieren. Das Resultat ist oft ein besonders schwerer Schlaganfall. Ihre Sorge sollte sich also nicht nur darauf konzentrieren, einen Schlaganfall zu erkennen, sondern darauf, seine häufigste und vermeidbare Ursache proaktiv zu bekämpfen.

Dieser Artikel ist kein allgemeiner Gesundheitsratgeber. Er ist eine direkte Anweisung, basierend auf der „Zeit-ist-Hirn-Doktrin“ der Neurologie. Es geht nicht nur darum, was Vorhofflimmern ist, sondern darum, wie Sie die diagnostische Lücke schließen, die richtigen Fragen an Ihren Arzt stellen und die Kausalkette zwischen Herz und Hirn verstehen, bevor sie unwiderruflich zuschnappt. Wir werden die modernen Werkzeuge von Wearables bis hin zu minimalinvasiven Eingriffen analysieren und Ihnen klare Handlungsanweisungen für das deutsche Gesundheitssystem geben.

Um Ihnen eine klare Orientierung zu geben, wie Sie die verborgene Gefahr des Vorhofflimmerns aufdecken und Ihr Schlaganfallrisiko aktiv managen können, haben wir diesen Artikel in präzise, handlungsorientierte Abschnitte gegliedert.

Apple Watch & Co: Können Wearables wirklich einen Schlaganfall verhindern?

Smartwatches mit EKG-Funktion sind mehr als nur technische Spielereien; sie sind zu potenziellen Frühwarnsystemen geworden. Ihre primäre Funktion ist nicht, einen Schlaganfall direkt zu verhindern, sondern dessen häufigste Ursache, das Vorhofflimmern, zu detektieren. Die integrierten Sensoren können einen unregelmäßigen Puls erkennen und den Träger auffordern, ein Ein-Kanal-EKG aufzuzeichnen. Die Apple Heart Studie hat mit über 400.000 Teilnehmern gezeigt, dass solche Geräte relevante Unregelmäßigkeiten aufspüren können, insbesondere bei älteren Nutzern. Bei den über 65-Jährigen generierte die App bei 3,2% eine Warnmeldung – ein wichtiger Hinweis.

Die entscheidende Frage ist: Was tun Sie mit dieser Information? Eine Warnung Ihrer Uhr ist kein medizinischer Befund, sondern ein dringender Handlungsauftrag. Sie ist der erste Schritt, um eine potenziell gefährliche „diagnostische Lücke“ zu schließen. Betrachten Sie die Technologie als einen wachsamen Partner, der Sie darauf hinweist, wann eine professionelle medizinische Abklärung unerlässlich ist. Die Genauigkeit der EKG-Funktion moderner Smartwatches ist dabei beachtlich hoch und kann einem Arzt wertvolle erste Hinweise liefern.

Wenn Ihre Uhr Alarm schlägt, dürfen Sie dies niemals ignorieren. Exportieren Sie das EKG als PDF und vereinbaren Sie umgehend einen Termin bei Ihrem Hausarzt. Erklären Sie klar, dass dies ein ernstzunehmender Hinweis für die Verordnung eines medizinischen Langzeit-EKGs ist, der einzigen Methode, um das oft nur anfallsartig auftretende (paroxysmale) Vorhofflimmern sicher zu diagnostizieren. Führen Sie bei wiederholten Warnungen ein genaues Symptom-Tagebuch. Ihre proaktive Mitarbeit ist der Schlüssel.

Letztlich kann eine Smartwatch keinen Schlaganfall verhindern, aber sie kann Ihnen den entscheidenden Zeitvorsprung verschaffen, um die zugrundeliegende Ursache zu finden und zu behandeln, bevor das erste Gerinnsel überhaupt entsteht.

Blutverdünner nehmen: Wie wägen Sie Schutz vor Schlaganfall gegen Blutungsgefahr ab?

Wird Vorhofflimmern diagnostiziert, steht eine entscheidende Frage im Raum: die Antikoagulation, umgangssprachlich „Blutverdünnung“. Diese Therapie ist der wirksamste Schutz vor einem durch Vorhofflimmern verursachten Schlaganfall, birgt aber selbst ein Risiko für Blutungen. Die Entscheidung ist keine Ermessensfrage, sondern basiert auf einer objektiven Risiko-Nutzen-Abwägung, die Ihr Arzt gemeinsam mit Ihnen vornimmt. Das zentrale Werkzeug hierfür ist der sogenannte CHA₂DS₂-VASc-Score. Er bewertet anhand von Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bluthochdruck oder Diabetes Ihr individuelles Schlaganfallrisiko.

Visuelle Darstellung der Risikoberechnung für Schlaganfall bei Vorhofflimmern während eines Arztgesprächs.

Ein hoher Score bedeutet ein hohes Risiko. Eine Studie bestätigt beispielsweise, dass ohne Behandlung etwa 4 von 100 Patienten pro Jahr mit einem Score von 4 einen Schlaganfall erleiden. Parallel dazu wird mit dem HAS-BLED-Score Ihr Blutungsrisiko eingeschätzt. In den allermeisten Fällen überwiegt der Nutzen des Schutzes vor einem oft invalidisierenden Schlaganfall das Blutungsrisiko bei Weitem. Ihre Aufgabe ist es, diesen Prozess zu verstehen und mit Ihrem Arzt die beste Option für Sie zu finden.

In Deutschland stehen grundsätzlich zwei Arten von Medikamenten zur Verfügung, deren Kosten bei entsprechender Indikation von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die wichtigsten Unterschiede.

Vergleich zwischen Marcumar (VKA) und Neuen Oralen Antikoagulanzien (NOAKs)
Aspekt Marcumar (VKA) NOAKs (z.B. Apixaban)
INR-Kontrollen Regelmäßig alle 2-4 Wochen Keine erforderlich
Ernährungsumstellung Vitamin-K-arme Kost nötig Keine spezielle Diät
Kostenübernahme GKV Vollständig Vollständig bei Indikation
Blutungsrisiko HAS-BLED Score abhängig Tendenziell niedriger

Die Entscheidung für oder gegen eine Antikoagulation ist eine der wichtigsten Weichenstellungen für Ihre zukünftige Hirngesundheit. Sie ist keine passive Hinnahme einer Verordnung, sondern ein aktiver Pakt zwischen Ihnen und Ihrem Arzt zum Schutz Ihres Gehirns.

Hängt der Mundwinkel? Wie Sie in 30 Sekunden einen Schlaganfall ausschließen

Wenn der Schlaganfall da ist, zählt jede Sekunde. Die „Zeit-ist-Hirn-Doktrin“ ist hier absolut. Jede Minute, in der ein Blutgefäß im Gehirn blockiert ist, sterben Millionen von Nervenzellen. Aus diesem Grund muss jeder Mensch die Sofortmaßnahmen zur Erkennung eines Schlaganfalls im Schlaf beherrschen. Der international anerkannte FAST-Test ist das unmissverständliche Alarmsignal. Er ist kein Diagnoseinstrument, sondern ein einfacher, schneller Check, der Ihnen sagt, ob Sie sofort den Notruf 112 wählen müssen.

Dieser Test ist Ihre wichtigste Waffe im Notfall. Wenn auch nur eines dieser Anzeichen plötzlich auftritt, zögern Sie keine Sekunde. Es gibt keine „leichten“ Symptome. Jeder Hinweis kann auf eine Katastrophe im Gehirn hindeuten. Was viele nicht wissen: In Deutschland gehen jährlich bis zu 30% aller ischämischen Schlaganfälle auf ein nicht erkanntes oder unzureichend behandeltes Vorhofflimmern zurück. Das Erkennen der Symptome ist also nur das Ende einer langen, oft unsichtbaren Kausalkette.

Ihr Notfall-Plan: Der FAST-Test

  1. Face (Gesicht): Bitten Sie die Person, zu lächeln. Hängt ein Mundwinkel herab? Ist eine Gesichtshälfte gelähmt?
  2. Arms (Arme): Bitten Sie die Person, beide Arme gleichzeitig nach vorne zu heben, mit den Handflächen nach oben. Sinkt ein Arm ab oder dreht sich nach innen?
  3. Speech (Sprache): Lassen Sie die Person einen einfachen Satz nachsprechen, z.B. „Ich esse gerne Äpfel“. Klingt die Sprache verwaschen, undeutlich oder findet die Person die Worte nicht?
  4. Time (Zeit): Verlieren Sie keine Zeit! Rufen Sie bei einem oder mehreren dieser Anzeichen sofort den Notruf 112. Merken Sie sich den genauen Zeitpunkt des Auftretens der ersten Symptome.

Fallbeispiel: Die Bedeutung der Stroke Unit in Deutschland

In Deutschland existiert ein Netz von rund 330 zertifizierten Stroke-Units – spezialisierte Abteilungen, die auf die Akutbehandlung von Schlaganfällen ausgerichtet sind. Wenn ein Patient schnell genug eintrifft und eine Thrombolyse (medikamentöse Auflösung des Gerinnsels) innerhalb von 90 Minuten nach Symptombeginn erhält, haben 50% dieser Patienten nach drei Monaten keine oder nur minimale Behinderungen. Dies unterstreicht die absolute Dringlichkeit des sofortigen Handelns bei Verdacht.

Der FAST-Test ist die letzte Verteidigungslinie. Die eigentliche strategische Prävention liegt jedoch in der Identifizierung und Behandlung der Ursachen wie Vorhofflimmern, lange bevor dieser Test jemals notwendig wird.

Holiday-Heart-Syndrom: Warum das Glas Rotwein am Wochenende das Herz aus dem Takt bringt

Es ist ein Phänomen, das Kardiologen und Notärzte gut kennen: Nach Wochenenden oder Feiertagen häufen sich die Fälle von plötzlich auftretendem Vorhofflimmern, selbst bei Menschen, die sonst herzgesund sind. Dies wird als „Holiday-Heart-Syndrom“ bezeichnet. Der Hauptauslöser ist oft übermäßiger Alkoholkonsum, typischerweise das „Binge Drinking“ bei Feiern oder auf Volksfesten, wie es in der deutschen Kultur vorkommt. Alkohol und seine Abbauprodukte können die elektrische Stabilität der Herzzellen direkt stören und das empfindliche Gleichgewicht aus dem Takt bringen.

Das Problem ist nicht zwangsläufig das eine Glas Wein zum Abendessen. Es ist der plötzliche, ungewohnt hohe Konsum, oft in Kombination mit Stress, Schlafmangel und salz- und fettreichem Essen. Diese Kombination ist ein toxischer Cocktail für den Herzrhythmus. Das Herzstolpern kann nach einigen Stunden von selbst wieder verschwinden, aber jeder dieser Anfälle ist ein Warnschuss. Er zeigt, dass Ihr Herz empfindlich auf diese Auslöser reagiert. Für Menschen mit einer Veranlagung zu Vorhofflimmern können solche Ereignisse der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Typische Auslöser für Vorhofflimmern-Anfälle sind besonders Alkoholgenuss, üppiges Essen und Stress, manchmal auch starke körperliche Aktivität.

– Bayer Patienteninformationen

Prävention bedeutet hier nicht Abstinenz, sondern bewussten Umgang, gerade im sozialen Kontext. Trinken Sie zu jedem Glas Alkohol ein Glas Wasser, um den Körper hydriert zu halten. Essen Sie salzhaltige Snacks wie Brezeln nicht exzessiv, da Dehydration und Elektrolytverschiebungen das Risiko erhöhen. Eine bewusste Gegenregulation ist entscheidend, um die Freude an Festen nicht mit der Gesundheit des Herzens zu bezahlen.

Wenn Sie nach Feiern wiederholt Herzstolpern oder einen unregelmäßigen Puls bemerken, ist das kein „Kater“, sondern ein dringendes Signal. Dokumentieren Sie es und besprechen Sie es mit Ihrem Arzt. Es könnte der erste Hinweis auf ein zugrundeliegendes, behandlungsbedürftiges Vorhofflimmern sein.

Schutz ohne Medikamente: Wann ist das „Schirmchen“ im Herzen eine Alternative?

Für die meisten Patienten mit Vorhofflimmern ist eine medikamentöse Blutverdünnung die Therapie der ersten Wahl. Doch was, wenn ein Patient diese Medikamente aufgrund eines sehr hohen Blutungsrisikos oder anderer Kontraindikationen nicht einnehmen kann? Hier kommt ein hochspezialisiertes, minimalinvasives Verfahren ins Spiel: der Vorhofohrverschluss, oft als „Schirmchen“ oder „Okkluder“ bezeichnet. Dieses Verfahren zielt direkt auf die Quelle des Problems, die „Gerinnsel-Schmiede“ im Herzen.

Das Vorhofohr (LAA – Left Atrial Appendage) ist eine kleine Ausstülpung im linken Vorhof. Bei Vorhofflimmern stagniert das Blut hier, was die Bildung von über 90% aller Schlaganfall-auslösenden Gerinnsel begünstigt. Die Idee des Verschlusses ist einfach: Wenn man diese „blinde Gasse“ dauerhaft verschließt, können sich dort keine gefährlichen Gerinnsel mehr bilden und ins Gehirn wandern. Der Eingriff erfolgt minimalinvasiv über einen Katheter, der durch eine Vene in der Leiste bis zum Herzen vorgeschoben wird. Dort wird ein kleines, schirmartiges Implantat (z.B. das WATCHMAN-System) im Vorhofohr platziert und entfaltet. Die Implantationserfolgsrate liegt bei über 95%.

Mit der Zeit wächst Herzgewebe über das Implantat und verschließt das Vorhofohr permanent. Dies bietet einen mechanischen Schutz vor Schlaganfällen, der mit der Wirkung von Blutverdünnern vergleichbar ist, ohne jedoch das systemische Blutungsrisiko zu erhöhen. Eine große deutsche Auswertung eines Registers mit Daten von 1591 Patienten aus fünf deutschen Herzzentren hat die Wirksamkeit und Sicherheit dieses Verfahrens im klinischen Alltag bestätigt. Die Entscheidung für einen solchen Eingriff wird in Deutschland immer in einem interdisziplinären Herz-Team aus Kardiologen und Herzchirurgen getroffen und ist für eine sehr spezifische Patientengruppe reserviert.

Der Vorhofohrverschluss ist keine Standardlösung, aber eine entscheidende Alternative für Hochrisikopatienten. Er zeigt, wie gezielte Eingriffe die Kausalkette des Schlaganfalls an ihrer Wurzel unterbrechen können, wenn der medikamentöse Weg versperrt ist.

Warum die KI im EKG Muster sieht, die selbst dem Chefarzt entgehen

Das Standard-EKG ist seit Jahrzehnten ein Eckpfeiler der kardiologischen Diagnostik. Doch es hat eine entscheidende Schwäche: Es ist nur eine Momentaufnahme. Bei paroxysmalem Vorhofflimmern, das nur für Minuten oder Stunden auftritt und dann wieder verschwindet, ist ein normales EKG oft unauffällig. Hier kommt die Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Moderne Algorithmen können ein EKG analysieren, das während eines normalen Herzrhythmus (Sinusrhythmus) aufgenommen wurde, und dennoch subtile Spuren und Muster finden, die auf ein hohes Risiko für zukünftiges oder unentdecktes Vorhofflimmern hindeuten.

Diese KI-Systeme sind darauf trainiert, winzige Veränderungen in der elektrischen Aktivität des Herzens zu erkennen, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. Sie finden sozusagen den „elektrischen Fingerabdruck“, den das Vorhofflimmern im Herzen hinterlässt, auch wenn es gerade nicht aktiv ist. Eine Studie zu KI-Algorithmen in EKG-fähigen Smartwatches zeigte bei einer Herzfrequenz zwischen 50 und 99 Schlägen pro Minute eine bemerkenswerte Genauigkeit von 98,3% bei der Erkennung von Vorhofflimmern. Diese Technologie schließt eine kritische „diagnostische Lücke“.

Die Rolle der KI ist nicht, den Arzt zu ersetzen, sondern ihn zu einem besseren Diagnostiker zu machen. Sie agiert als unermüdlicher Assistent, der riesige Datenmengen nach verdächtigen Mustern durchsucht. Der erfahrene Arzt kann diesen KI-generierten Hinweis dann in den klinischen Gesamtkontext des Patienten einordnen und die richtigen weiteren Schritte, wie ein Langzeit-EKG, einleiten.

Die KI findet die ‚Nadel im Heuhaufen‘ und der erfahrene Facharzt interpretiert den Befund im Kontext des Patienten.

– Prof. Dr. Thorsten Lewalter, Zeitschrift für Sportmedizin

Für Sie als Patient bedeutet dies eine erhöhte Chance, dass die verborgene Gefahr rechtzeitig entdeckt wird. Es ist ein weiterer, starker Grund, auch bei unklaren Symptomen wie gelegentlichem Herzstolpern eine kardiologische Abklärung anzustreben. Die modernen Werkzeuge sind da – sie müssen nur genutzt werden.

Herzklappe reparieren ohne OP: Für wen reicht die „Klammer“ durch die Leiste?

Das Herz ist ein komplexes System, in dem alles zusammenspielt. Manchmal ist Vorhofflimmern nicht die primäre Ursache, sondern die Folge eines anderen strukturellen Problems, wie einer undichten Herzklappe. Insbesondere die Mitralklappeninsuffizienz, bei der die Klappe zwischen linkem Vorhof und linker Herzkammer nicht mehr richtig schließt, kann zu einem Rückstau von Blut führen. Dieser erhöhte Druck im Vorhof kann dessen Wände dehnen und so das elektrische System stören, was wiederum Vorhofflimmern auslöst oder verschlimmert.

Traditionell erforderte die Reparatur oder der Ersatz einer Herzklappe eine Operation am offenen Herzen – ein schwerer Eingriff, der für ältere oder multimorbide Patienten oft mit einem zu hohen Risiko verbunden ist. Für diese Patientengruppe wurde das MitraClip-Verfahren entwickelt. Dabei wird über einen Katheter in der Leiste ein kleiner Clip zum Herzen geführt, der die beiden Segel der undichten Mitralklappe zusammenheftet und so die undichte Stelle verkleinert. Es ist eine Reparatur ohne große Operation.

Dieses Verfahren ist eine wichtige Option für eine spezifische Patientengruppe. Die Entscheidung wird in spezialisierten deutschen Herzzentren immer von einem interdisziplinären Herz-Team aus Kardiologen und Herzchirurgen getroffen. Typische Kandidaten sind Patienten über 75 Jahre mit hohem OP-Risiko und einer symptomatischen Mitralklappeninsuffizienz, die zu Luftnot und verminderter Belastbarkeit führt. Durch die Reduzierung der Klappenundichtigkeit kann nicht nur die Herzleistung verbessert und die Lebensqualität gesteigert, sondern auch eine wichtige Ursache für Vorhofflimmern behandelt werden.

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie wichtig eine umfassende kardiologische Diagnostik ist. Es geht nicht nur darum, den unregelmäßigen Herzschlag zu finden, sondern auch zu verstehen, warum er auftritt. Nur so kann die richtige, auf Sie zugeschnittene Therapie gefunden werden.

Das Wichtigste in Kürze

  • Vorhofflimmern ist oft symptomlos, aber eine der Hauptursachen für schwere Schlaganfälle.
  • Die proaktive Suche nach diesem „unsichtbaren Herzstolpern“ ist wichtiger als das Warten auf Schlaganfallsymptome.
  • Moderne Diagnostik (Langzeit-EKG, Wearables, KI) und Therapien (NOAKs, Vorhofohrverschluss) bieten effektiven Schutz.

24 Stunden oder 7 Tage: Welches Gerät findet die seltenen Aussetzer?

Sie haben Herzstolpern bemerkt oder Ihre Smartwatch hat Alarm geschlagen. Ihr Hausarzt macht ein 12-Kanal-EKG in der Praxis und ein 24-Stunden-Langzeit-EKG. Beide sind unauffällig. Fall erledigt? Aus neurologischer Sicht ist die Antwort ein klares Nein. Hier beginnt oft die eigentliche Detektivarbeit. Das anfallsartig (paroxysmal) auftretende Vorhofflimmern ist der tückischste Gegner, denn es kann für Tage oder Wochen ausbleiben. Ein 24-Stunden-Fenster reicht oft nicht aus, um es zu erwischen. Dies ist die gefährlichste „diagnostische Lücke“.

Nahaufnahme von Langzeit-EKG-Elektroden auf der Haut einer Person zur Erkennung von Vorhofflimmern.

In Deutschland sind laut aktuellen Studien hochgerechnet fast 4 Millionen Menschen von Vorhofflimmern betroffen, viele davon ohne es zu wissen. Um die seltenen Aussetzer zu finden, ist eine längere Überwachung notwendig. Kardiologen können ein 3- bis 7-Tage-Langzeit-EKG verordnen oder sogar einen sogenannten Event-Recorder, den Sie über mehrere Wochen tragen. Dieses Gerät zeichnet nur dann auf, wenn Sie selbst einen Knopf drücken, weil Sie Symptome spüren, oder wenn das Gerät selbst eine Unregelmäßigkeit detektiert. Dies erhöht die Chance, den entscheidenden Beweis zu finden, dramatisch.

Sie müssen der Anwalt Ihrer eigenen Gesundheit sein. Wenn der Verdacht auf paroxysmales Vorhofflimmern besteht, aber das 24-Stunden-EKG unauffällig war, ist der nächste logische Schritt die erweiterte Diagnostik. Ihre Hartnäckigkeit kann hier über die Zukunft Ihres Gehirns entscheiden.

Ihr Plan zur Diagnostik in Deutschland

  1. Schritt 1: Basis-Abklärung: Ihr Hausarzt führt ein Standard-EKG und meist ein 24-Stunden-Langzeit-EKG durch. Beides sind Kassenleistungen.
  2. Schritt 2: Überweisung zum Spezialisten: Bleibt der Befund trotz Verdacht negativ, bitten Sie um eine Überweisung zum Kardiologen. Bringen Sie alle Hinweise (z.B. Smartwatch-Aufzeichnungen, Symptom-Tagebuch) mit.
  3. Schritt 3: Erweiterte Diagnostik: Der Kardiologe kann ein 3-7 Tage Langzeit-EKG oder einen Event-Recorder verordnen, um die diagnostische Lücke zu schließen.
  4. Ihr Beitrag: Führen Sie ein präzises Symptom-Tagebuch (Datum, Uhrzeit, Art der Symptome, Dauer). Dies ist ein unschätzbar wertvolles Argument für die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen.
  5. Argumentation: Dokumentierte, wiederholte Episoden – auch wenn sie nur von Ihnen selbst wahrgenommen oder von einer Smartwatch aufgezeichnet wurden – erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankenkasse eine erweiterte Diagnostik genehmigt.

Akzeptieren Sie kein „Da ist nichts“, solange ein begründeter Verdacht besteht. Die Gesundheit Ihres Gehirns hängt davon ab, dass diese eine, vielleicht nur wenige Minuten andauernde Episode von Vorhofflimmern gefunden und behandelt wird. Bestehen Sie auf einer lückenlosen Aufklärung.

Häufig gestellte Fragen zum Thema Herz und Schlaganfall

Für wen kommt das MitraClip-Verfahren in Frage?

Das Verfahren richtet sich vor allem an Patienten über 75 Jahre mit einer symptomatischen Mitralklappeninsuffizienz und einem hohen Risiko für eine Operation am offenen Herzen. Die Entscheidung wird immer individuell in einem Herz-Team getroffen.

Wie lange dauert der Krankenhausaufenthalt nach einem MitraClip-Eingriff?

Der stationäre Aufenthalt ist in der Regel kurz und dauert etwa 3 bis 5 Tage. Daran schließt sich eine ambulante kardiologische Nachsorge an.

Verbessert sich die Lebensqualität durch den Klappenclip?

Ja, viele Patienten berichten über eine deutliche Verbesserung. Typische positive Effekte sind weniger Atemnot beim Treppensteigen und eine allgemein höhere Belastbarkeit im Alltag, da die Herzleistung verbessert wird.

Geschrieben von Dr. Thomas Hartmann, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie mit über 20 Jahren Erfahrung in klinischer Diagnostik und interventioneller Therapie. Als Oberarzt an einem großen Herzzentrum ist er spezialisiert auf Herzinsuffizienz, Bluthochdruckmanagement und moderne bildgebende Verfahren.