Veröffentlicht am Mai 11, 2024

Entgegen der Annahme, dass nur Laborwerte und Symptome zählen, entsteht Ihr wahres Gesundheitsprofil erst durch die Verbindung Ihrer Lebensgeschichte mit medizinischen Daten.

  • Ihre „Gesundheitsbiografie“, einschließlich sozialer Faktoren wie Einsamkeit oder dem Beruf der Vorfahren, ist für Ihr Risiko entscheidend.
  • Sie haben das Recht und die Werkzeuge, Daten aus Apps oder der Patientenakte aktiv in das Gespräch einzubringen und Risiken richtig einzuordnen.

Empfehlung: Nutzen Sie Ihr Wissen, um vom passiven Patienten zum aktiven Gestalter Ihres persönlichen Gesundheitsplans zu werden.

Fühlen Sie sich im Sprechzimmer manchmal auch so, als wären Sie nur eine weitere Nummer in einer langen Reihe? Sie schildern Ihre Symptome, bekommen eine Diagnose, vielleicht ein Rezept, und nach wenigen Minuten ist der Termin vorbei. Dieses Gefühl, als statistischer Fall und nicht als ganzer Mensch wahrgenommen zu werden, ist eine der größten Frustrationen im heutigen Gesundheitssystem. Viele Ratgeber empfehlen, sich mit Notizzetteln vorzubereiten oder alle Fragen aufzuschreiben. Das ist ein guter Anfang, aber es kratzt nur an der Oberfläche.

Die wahre Revolution im Arzt-Patienten-Gespräch findet auf einer tieferen Ebene statt. Was wäre, wenn nicht nur Ihre aktuellen Symptome, sondern auch der Beruf Ihres Großvaters, Ihre Schlafdaten von der Smartwatch oder Ihr soziales Umfeld entscheidende Puzzleteile für Ihre Gesundheit wären? Die moderne Medizin erkennt immer mehr, dass ein Mensch mehr ist als die Summe seiner Laborwerte. Es geht um das Konzept der „Gesundheitsbiografie“ – ein lebendiges Mosaik aus Genetik, Lebensstil, Umwelt und persönlichen Erfahrungen.

Doch wie bringen Sie dieses komplexe Bild in das oft zeitlich begrenzte Gespräch mit Ihrem Arzt ein? Die entscheidende Erkenntnis ist: Sie selbst sind der Experte für Ihre Lebensgeschichte. Dieser Artikel ist kein weiterer Appell, Notizen zu machen. Er ist eine Anleitung, wie Sie die richtigen, oft übersehenen Informationen über sich selbst sammeln, aufbereiten und souverän kommunizieren. Wir zeigen Ihnen, wie Sie die kalte Diagnostik in eine persönliche Gesundheitsstrategie verwandeln und die „sprechende Medizin“ aktiv mitgestalten.

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Um Ihnen die Werkzeuge für diese neue Rolle an die Hand zu geben, beleuchten wir in diesem Artikel verschiedene, oft überraschende Aspekte Ihres Gesundheitsprofils. Wir zeigen Ihnen, wie Sie vom passiven Empfänger von Informationen zum aktiven Gesprächspartner auf Augenhöhe werden.

Warum die Frage nach dem Beruf Ihres Vaters für Ihr Herz wichtig sein kann

Es mag wie eine seltsame Frage aus einer anderen Zeit klingen, doch die Lebensumstände Ihrer Vorfahren haben einen messbaren Einfluss auf Ihre heutige Gesundheit. Dies ist keine Esoterik, sondern das Feld der Epigenetik. Sie beschreibt, wie Umwelteinflüsse und Lebenserfahrungen die Aktivität unserer Gene steuern können, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. Diese „Markierungen“ an den Genen können sogar über Generationen weitergegeben werden.

Stellen Sie sich vor, Ihr Großvater hat in einem Bergwerk gearbeitet und war ständig Feinstaub ausgesetzt, oder Ihre Mutter hat während einer Hungersnot gelebt. Solche extremen Belastungen oder Mangelernährung können epigenetische Schalter umlegen. Eine aktuelle Forschung des Max-Planck-Instituts beweist, dass bestimmte epigenetische Modifikationen direkt von der Mutter an die Nachkommen weitergegeben werden und deren Entwicklung beeinflussen. Ihr Körper trägt also gewissermaßen eine Erinnerung an die Herausforderungen, denen Ihre Ahnen ausgesetzt waren.

Fallbeispiel: Der niederländische Hungerwinter 1944/45

Die Langzeitfolgen dieser extremen Mangelperiode sind ein eindrückliches Beispiel für transgenerationale Epigenetik. Kinder von Frauen, die während der Schwangerschaft hungerten, zeigten im späteren Leben überdurchschnittlich oft Herzprobleme, Diabetes oder Depressionen. Erstaunlicherweise hatten sogar deren Kinder, also die Enkelgeneration, ein erhöhtes Risiko für Übergewicht, obwohl sie in einer Zeit des Überflusses aufwuchsen. Die Erfahrung hatte sich epigenetisch über zwei Generationen „vererbt“.

Für Ihr Risikoprofil bedeutet das: Informationen über die Berufe, Lebensbedingungen und prägenden Erlebnisse Ihrer Eltern und Großeltern sind keine Anekdoten, sondern wertvolle Daten. Sie helfen uns Ärzten, bestimmte Anfälligkeiten besser zu verstehen und Ihr persönliches Risiko jenseits der reinen Genetik einzuordnen. Ihre Gesundheitsbiografie beginnt also nicht erst mit Ihrer Geburt.

Diese Informationen ermöglichen es, Präventionsstrategien zu entwickeln, die genau auf die potenziellen, vererbten „Schwachstellen“ in Ihrem System zugeschnitten sind.

App-Daten zum Arzt: Wie bringen Sie Ihre Smartwatch-Protokolle sinnvoll ins Gespräch?

Immer mehr Menschen tracken ihre Gesundheitsdaten selbst: Schritte, Schlafqualität, Herzfrequenz oder sogar EKGs werden von Smartwatches und Fitness-Apps penibel aufgezeichnet. Doch im Sprechzimmer führt dieser Datenschatz oft zu Frustration. Viele Patienten wissen nicht, wie sie die Informationen präsentieren sollen, und wir Ärzte sind von unstrukturierten Datenbergen schnell überfordert. Der Schlüssel liegt in der gezielten Vorbereitung und Kontextualisierung.

Statt uns eine wochenlange Herzfrequenzkurve zu zeigen, ist es hilfreicher, wenn Sie konkrete Auffälligkeiten herausfiltern. Haben Sie zum Beispiel bemerkt, dass Ihre Herzfrequenz nachts wiederholt ansteigt, ohne dass Sie aufwachen? Oder gibt es einen Zusammenhang zwischen stressigen Arbeitstagen und einer schlechten Schlafbewertung? Notieren Sie Datum, Uhrzeit und die Begleitumstände. So werden aus reinen Zahlen wertvolle, interpretierbare Ereignisse.

Patient bereitet Gesundheitsdaten für Arzttermin strukturiert vor

Diese Vorbereitung verwandelt Sie von einem passiven Datensammler in einen aktiven Beobachter Ihrer eigenen Gesundheit. Sie liefern uns nicht nur Daten, sondern bereits eine Hypothese („Ich vermute, mein schlechter Schlaf hängt mit dem späten Kaffeekonsum zusammen“). Das spart wertvolle Zeit und lenkt das Gespräch direkt auf den Kern des Problems. Ein gut aufbereitetes Protokoll ist eine Brücke zwischen Ihrer digitalen Selbstvermessung und unserer medizinischen Expertise.

Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Geräte keine medizinischen Diagnoseinstrumente sind, aber sie sind exzellente Werkzeuge zur Mustererkennung im Alltag. Sie können uns Hinweise auf Zusammenhänge geben, die in einer kurzen Momentaufnahme im Sprechzimmer niemals sichtbar wären. Die Kunst besteht darin, die Signale vom Rauschen zu trennen – und dabei können Sie uns entscheidend helfen.

Sehen Sie Ihre App-Daten als Teil Ihres Gesundheits-Tagebuchs, das uns gemeinsam hilft, Ihr persönliches Daten-Mosaik zu vervollständigen.

Relativ vs. Absolut: Wie verstehen Sie „50% Risikoerhöhung“ richtig?

Eine der größten Quellen für Missverständnisse und Angst im Arztgespräch sind statistische Risikoangaben. Eine Schlagzeile oder ein Beipackzettel warnt vor einer „50%igen Erhöhung des Herzinfarktrisikos“, und sofort entsteht Panik. Doch diese Zahl ist oft eine relative Risikoangabe, die ohne Kontext irreführend sein kann. Um Ihre Situation realistisch einzuschätzen, müssen Sie den Unterschied zum absoluten Risiko verstehen.

Stellen Sie sich folgendes Praxisbeispiel vor: Ein Medikament erhöht das Risiko einer seltenen Nebenwirkung von 2 auf 3 Fälle pro 1.000 behandelte Personen. Relativ betrachtet ist das eine Steigerung um 50 % (von 2 auf 3 ist die Hälfte mehr). Das klingt dramatisch. Absolut betrachtet steigt Ihr persönliches Risiko jedoch nur um 0,1 % (von 0,2 % auf 0,3 %). Die absolute Risikodifferenz ist also verschwindend gering. Ohne diese Einordnung kann eine relative Angabe eine rationale Entscheidung über eine Behandlung massiv erschweren.

Ihre Aufgabe als informierter Patient ist es, bei Risikoangaben immer nach den absoluten Zahlen zu fragen. Scheuen Sie sich nicht, diese Fragen zu stellen, denn sie sind entscheidend für eine gemeinsame Entscheidungsfindung (Shared Decision Making). Nur wenn Sie das wahre Ausmaß eines Risikos verstehen, können Sie es gegen den potenziellen Nutzen einer Maßnahme abwägen. Bitten Sie Ihren Arzt, die Zahlen in einem verständlichen Format darzustellen, zum Beispiel mit der Formulierung: „Wie viele von 100 Menschen wie mir würden in den nächsten 10 Jahren davon profitieren?“

Um Risiken besser einordnen zu können, helfen Ihnen folgende Schlüsselfragen:

  • Wie hoch ist mein persönliches Grundrisiko ohne diese Behandlung?
  • Auf welche absolute Zahl bezieht sich die prozentuale Angabe? (z.B. „50 % von was?“)
  • Wie viele Menschen von 1.000 sind tatsächlich betroffen?
  • Wie verändert sich mein Risiko in konkreten Zahlen, nicht nur in Prozent?
  • Können Sie mir einen Vergleich zu einem alltäglichen Risiko geben?

Diese Kompetenz schützt Sie vor unnötiger Angst und macht Sie zu einem mündigen Partner bei allen gesundheitlichen Entscheidungen.

Einsamkeit und Depression: Warum gehören diese Punkte in Ihre Herz-Akte?

Wenn wir Ärzte nach Risikofaktoren für Herzerkrankungen fragen, denken die meisten Patienten an Rauchen, Bluthochdruck oder Cholesterin. Doch zunehmend rücken auch psychosoziale Faktoren in den Fokus. Anhaltender Stress, soziale Isolation, Einsamkeit oder eine unbehandelte Depression sind keine reinen „Befindlichkeitsstörungen“ – sie sind handfeste, unabhängige Risikofaktoren für die Herzgesundheit, deren Einfluss oft unterschätzt wird.

Der Mechanismus dahinter ist wissenschaftlich gut belegt. Chronischer psychischer Stress führt zu einer dauerhaften Aktivierung des Stresshormonsystems (z.B. Cortisol) und fördert chronische Entzündungsprozesse im Körper. Diese Entzündungen können die Wände der Blutgefäße schädigen und die Entstehung von Arteriosklerose (Gefäßverkalkung) begünstigen. Einsamkeit kann einen ähnlichen physiologischen Stress auslösen wie körperliche Bedrohungen. Ihr Herz spürt also buchstäblich, ob Sie sich sozial eingebunden und seelisch im Gleichgewicht fühlen.

Für viele Patienten ist es eine Hürde, diese Themen im Sprechzimmer anzusprechen. Es fühlt sich privat an oder man befürchtet, nicht ernst genommen zu werden. Doch aus ärztlicher Sicht sind diese Informationen essenziell. Wenn ein Patient über Herzrasen klagt, die körperlichen Befunde aber unauffällig sind, kann die Ursache eine Panikattacke im Rahmen einer Angststörung sein. Ohne diese Information suchen wir möglicherweise an der falschen Stelle. Das offene Gespräch über Ihre seelische Verfassung ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein entscheidender Beitrag zu einer ganzheitlichen Diagnostik.

Wenn Sie sich also über längere Zeit niedergeschlagen, isoliert oder überfordert fühlen, gehört das in Ihre Gesundheitsbiografie und somit ins Arztgespräch. Es hilft uns, Ihr Risikoprofil zu vervollständigen und nicht nur Symptome zu behandeln, sondern auch die zugrundeliegenden Ursachen anzugehen. Manchmal ist das Gespräch über soziale Unterstützung oder eine psychotherapeutische Anbindung für Ihr Herz langfristig wirksamer als ein weiteres Medikament.

Indem Sie diese Themen ansprechen, ermöglichen Sie uns eine 360-Grad-Sicht auf Ihre Gesundheit, die weit über rein physische Messwerte hinausgeht.

Was steht wirklich über Sie im Computer? Ihr Recht auf Kopie und Korrektur

In unseren Praxiscomputern sammelt sich über die Jahre eine umfangreiche digitale Akte über Sie: Diagnosen, Befunde, Arztbriefe, Medikationspläne. Doch was genau darin steht und wer es formuliert hat, bleibt für viele Patienten ein Mysterium. Dabei haben Sie in Deutschland ein gesetzlich verankertes Recht auf Transparenz. Dieses Recht ist ein mächtiges Werkzeug, um die Kontrolle über Ihre Gesundheitsinformationen zurückzugewinnen und die Qualität Ihrer Behandlung zu sichern.

Gemäß § 630g des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) haben Sie das Recht, jederzeit Einsicht in Ihre vollständige Patientenakte zu nehmen und Kopien davon zu verlangen. Für elektronisch geführte Akten greift zusätzlich Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen schreitet voran, auch wenn sie manchmal noch holprig ist. Das aktuelle PraxisBarometer zeigt, dass 45% der Praxen bereits KIM (Kommunikation im Medizinwesen) nutzen. Dies ebnet den Weg für einen einfacheren digitalen Datenaustausch, doch Ihr Recht auf Einsicht ist davon unabhängig.

Symbolische Darstellung der digitalen Patientenrechte und Datentransparenz

Warum ist das so wichtig? Fehler in der Akte können sich über Jahre fortschreiben. Eine fälschlicherweise dokumentierte Allergie oder eine veraltete Diagnose kann zukünftige Behandlungsentscheidungen negativ beeinflussen. Wenn Sie Fehler entdecken, haben Sie nach Art. 16 DSGVO ein Recht auf Berichtigung. Bei subjektiven Einschätzungen des Arztes, denen Sie nicht zustimmen, können Sie verlangen, dass eine Gegendarstellung von Ihnen zur Akte genommen wird.

Die Einsichtnahme ermöglicht es Ihnen, ein aktiver Manager Ihrer eigenen Gesundheitsdaten zu werden. Sie können Befunde verschiedener Ärzte zusammenführen, sich auf Gespräche vorbereiten und sicherstellen, dass das Bild, das die Akte von Ihnen zeichnet, korrekt und vollständig ist. Dies ist ein fundamentaler Schritt, um im Gesundheitssystem nicht nur als Objekt der Behandlung, sondern als Subjekt mit Rechten und Kontrolle aufzutreten.

Fordern Sie Transparenz ein – es ist Ihr gutes Recht und ein wesentlicher Beitrag zur Qualität und Sicherheit Ihrer medizinischen Betreuung.

Erlerntes Risikoverhalten: Haben Sie die schlechten Gewohnheiten Ihrer Eltern geerbt?

Wir erben von unseren Eltern nicht nur die Augenfarbe, sondern oft auch Verhaltensmuster und Gewohnheiten. Der Umgang mit Stress, die Art der Ernährung oder das Verhältnis zu Bewegung – diese Aspekte werden stark durch unser familiäres Umfeld in der Kindheit und Jugend geprägt. Dieses „erlernte Risikoverhalten“ ist ein weiterer, entscheidender Baustein Ihrer persönlichen Gesundheitsbiografie. Oftmals setzen wir unbewusst Muster fort, die wir bei unseren Eltern beobachtet haben.

Wenn Ihre Eltern beispielsweise auf Stress mit übermäßigem Essen oder Rauchen reagiert haben, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Sie ähnliche Bewältigungsstrategien entwickelt haben. Dies ist keine Frage der Willensschwäche, sondern ein tief verankertes, erlerntes Modell. Die Forschung zur transgenerationalen Weitergabe von Stressmustern deutet sogar darauf hin, dass solche Einflüsse über die reine Nachahmung hinausgehen und sich ebenfalls auf epigenetischer Ebene manifestieren können. So kann der Lebensstil der Eltern die Krankheitsanfälligkeit der Kinder beeinflussen.

Die Reflexion dieser Muster ist der erste und wichtigste Schritt zur Veränderung. Fragen Sie sich: Welche Gesundheitsgewohnheiten in meiner Familie waren positiv, welche negativ? Wie gehe ich heute mit Stress um und ähnelt meine Reaktion der meiner Eltern? Diese Selbstanalyse ist kein Anlass für Schuldzuweisungen, sondern eine Chance, dysfunktionale Kreisläufe zu durchbrechen. Es geht darum, bewusst zu entscheiden, welche Teile des familiären Erbes Sie weiterführen und welche Sie ablegen möchten.

Die gute Nachricht ist: Sie sind diesen Mustern nicht hilflos ausgeliefert. Wenn Sie solche erlernten Verhaltensweisen bei sich erkennen, gibt es gezielte Unterstützung. Ein entscheidender Hebel sind die Präventionsangebote der Krankenkassen. Laut GKV-Spitzenverband haben seit September 2020 rund 73 Millionen Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf qualitätsgeprüfte digitale Präventionskurse, zum Beispiel zu den Themen Stressmanagement, Ernährung oder Bewegung.

Indem Sie diese Muster im Arztgespräch thematisieren, können wir gemeinsam gezielte Strategien und Unterstützungsangebote finden, die Ihnen helfen, Ihren eigenen, gesunden Weg zu gehen.

Anamnese, Befund, Epikrise: Wo steht das, was für Sie wirklich wichtig ist?

Nach einem Krankenhausaufenthalt oder einer Untersuchung beim Facharzt erhalten Sie oft einen Arztbrief. Dieses Dokument ist voller Fachbegriffe und hat eine standardisierte Struktur, die für Laien schwer zu durchschauen ist. Doch in diesem Brief steckt die Essenz Ihrer medizinischen Situation. Zu lernen, ihn zu lesen, ist wie das Erlernen einer neuen, wichtigen Sprache. Die drei wichtigsten Abschnitte sind die Anamnese, der Befund und die Epikrise.

Die Anamnese ist die Vorgeschichte. Hier sollte das stehen, was Sie dem Arzt über Ihre Beschwerden, Vorerkrankungen und Lebensumstände erzählt haben. Prüfen Sie hier kritisch: Wurde alles Wichtige korrekt und vollständig dokumentiert? Fehlt eine entscheidende Information? Dies ist der Teil des Briefes, der Ihre subjektive Perspektive widerspiegeln sollte.

Der Befund-Teil enthält die objektiven Ergebnisse der Untersuchungen: Laborwerte, EKG-Kurven, Maße aus dem Ultraschall. Dies sind die reinen Fakten, die „Messwerte“. Hier können Sie überprüfen, ob die Ergebnisse mit Ihren erlebten Symptomen in Einklang stehen oder ob es Abweichungen gibt.

Der wichtigste Teil für das schnelle Verständnis ist jedoch die Epikrise. Dies ist die zusammenfassende Beurteilung am Ende des Briefes. Hier fasst der Arzt die Anamnese und Befunde zusammen, stellt eine oder mehrere Diagnosen und gibt eine Empfehlung für das weitere Vorgehen (z. B. eine Therapieempfehlung). Wenn Sie einen Arztbrief schnell erfassen wollen, beginnen Sie immer mit der Epikrise!

Ihr Fahrplan zur Entschlüsselung des Arztbriefes

  1. Zuerst die Epikrise lesen: Beginnen Sie mit der Zusammenfassung am Ende des Briefes, um sofort die Diagnose und die Empfehlung zu erfassen.
  2. Anamnese abgleichen: Prüfen Sie, ob Ihre eigene Schilderung der Vorgeschichte und Symptome korrekt und vollständig wiedergegeben ist.
  3. Befunde mit Symptomen vergleichen: Schauen Sie sich die Untersuchungsergebnisse an und fragen Sie sich, ob diese Ihre Beschwerden erklären.
  4. Unklarheiten markieren: Markieren Sie alle Fachbegriffe oder Formulierungen, die Sie nicht verstehen, für eine gezielte Rückfrage.
  5. Eigene Wahrnehmung notieren: Schreiben Sie sich auf, falls es Abweichungen zwischen der Dokumentation und Ihrer persönlichen Wahrnehmung gibt.

Ein so vorbereiteter Brief wird zur perfekten Grundlage für das nächste Gespräch mit Ihrem Hausarzt, um die nächsten Schritte gemeinsam zu planen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Ihr wahres Risikoprofil ist ein Mosaik aus Biologie, Biografie und Alltag – weit mehr als nur Laborwerte.
  • Sie haben das Recht auf Einsicht und Korrektur Ihrer Patientenakte (§ 630g BGB) und sollten dieses aktiv nutzen.
  • Das Verständnis des Unterschieds zwischen relativem und absolutem Risiko schützt Sie vor Angst und ermöglicht fundierte Entscheidungen.

Unsicher vor der OP: Wie holen Sie offiziell eine zweite Meinung ein, ohne den Arzt zu beleidigen?

Vor einer größeren Operation oder einer schwerwiegenden Therapieentscheidung ist es völlig normal, unsicher zu sein und sich eine zweite Meinung zu wüschen. In Deutschland ist das Recht auf eine Zweitmeinung bei bestimmten Eingriffen gesetzlich verankert und wird von den Krankenkassen unterstützt. Dennoch scheuen sich viele Patienten, diesen Wunsch zu äußern, aus Angst, den behandelnden Arzt vor den Kopf zu stoßen oder das Vertrauensverhältnis zu beschädigen. Doch mit der richtigen Kommunikation wird aus der heiklen Frage ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein.

Betrachten Sie die Zweitmeinung nicht als Misstrauensvotum, sondern als Teil eines sorgfältigen Entscheidungsprozesses. Es geht darum, für eine weitreichende Entscheidung die bestmögliche Informationsgrundlage zu schaffen. Ein souveräner Arzt wird diesen Wunsch verstehen und unterstützen. Der Schlüssel liegt in einer wertschätzenden und transparenten Formulierung. Anstatt zu sagen „Ich bin mir nicht sicher, ob Ihre Diagnose stimmt“, können Sie den Fokus auf Ihre eigene Beruhigung und Sorgfaltspflicht legen.

Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) schlägt eine respektvolle Formulierung vor, die das Gesicht des Arztes wahrt und gleichzeitig Ihren Wunsch klar kommuniziert:

Bei einem so großen Eingriff würde ich zur eigenen Beruhigung gerne das Zweitmeinungsverfahren in Anspruch nehmen, das meine Krankenkasse anbietet. Ich schätze Ihre Expertise sehr und komme danach gerne wieder auf Sie zu.

– Formulierungsvorschlag, Unabhängige Patientenberatung Deutschland

Diese Formulierung macht deutlich, dass Sie den Arzt weiterhin als Partner sehen. Sie nutzen lediglich ein etabliertes Verfahren zur Qualitätssicherung. Im Kontext eines sich wandelnden Gesundheitssystems, in dem laut aktueller Versorgungsanalyse der Stiftung Gesundheit der Anteil angestellter Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) stetig steigt, werden solche standardisierten Prozesse immer wichtiger, um eine gleichbleibend hohe Behandlungsqualität zu sichern.

Der nächste logische Schritt ist nicht, das System zu kritisieren, sondern es für sich zu nutzen. Fordern Sie die Informationen an, die Ihnen zustehen, bereiten Sie Ihre Daten vor und treten Sie Ihrem Arzt als informierter Partner gegenüber. Ihre Gesundheit ist keine Statistik, sondern Ihre Geschichte.

Häufig gestellte Fragen zu Wie erstellen Ärzte Ihr Risikoprofil, ohne Sie nur als Nummer in der Statistik zu sehen?

Geschrieben von Renate Müller, Sozialarbeiterin im Gesundheitswesen (Case Management) und Expertin für Patientenrechte. Sie hilft Chronikern bei Anträgen, Kostenübernahmen und der Organisation der Pflege.